Die Inquisition wütet in Gestalt des Großinquisitors, dem Anke Schubert ihre Stimme leiht. Man sieht sie nicht auf der Bühne, sondern man nimmt im Hintergrund nur ein großes Kreuz wahr. Despotismus und Gewalt kommen in dieser insgesamt beachtlichen Inszenierung dennoch drastisch zum Vorschein. König Philipp II. ist auch in der Darstellung von Matthias Leja ein unberechenbarer Tyrann, der sein Weltreich mit Grausamkeit regiert. Seine Heirat mit Elisabeth von Valois, die von Frida-Lovisa Hamann hervorragend verkörpert wird, ist aus politischem Kalkül heraus zustande gekommen. Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen beiden geraten bei dieser Aufführung zu einem dramatischen Höhepunkt. Felix Strobel macht als Kronprinz Don Carlos plastisch deutlich, dass er die Trennung von seiner ehemaligen Verlobten Elisabeth von Valois nie verwunden hat. Sein Vater hat ihn mit der Heirat also doppelt betrogen.
Gut gezeichnet ist auch die Figur des Marquis von Posa, den David Müller heroisch und rebellisch zugleich verkörpert. Sein Glaube an einen besseren Staat auf der Grundlage von Toleranz und Freiheit kostet ihn das Leben. Verstrickt in tödliche Intrigen, wird er auf Befehl Philipps hinterrücks erschossen. Die Wünsche von Don Carlos erfüllen sich nicht. Als Gefangener und unglücklich Liebender am eigenen Hof wird er zuletzt ebenfalls hinterrücks erschossen - wie auch die Königin von Spanien, Elisabeth von Valois. Beide sterben im Kugelhagel. Das ist ein radikaleres Ende als bei Schiller selbst, denn hier übergibt Philipp Don Carlos ja dem Großinquisitor.
Das ausgereifte historische Drama von Friedrich Schiller kommt aber auch in den restlichen Rollen drastisch zum Vorschein. Michael Stiller mimt den finsteren Herzog von Alba als Doppelgänger von Mussolini oder General Franco. Und auch die in Don Carlos verliebte, von diesem abgewiesene und darum rachsüchtige Prinzessin von Eboli in der ausgezeichneten Darstellung von Katharina Hauter kann das Publikum immer wieder fesseln. Reinhard Mahlberg stellt Domingo als verschlagenen Beichtvater des Königs dar. So kann das "verruchte Bubenstück", das die Eboli, der Herzog von Alba und Domingo angezettelt haben, schließlich gelingen. Und auch die Auseinandersetzungen von König Philipp mit dem Marquis von Posa lassen an tragischer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Geben Sie Gedankenfreiheit." Die Entwicklung von realistischer Prosa zur dichterisch-überhöhten Verssprache lässt sich gut nachvollziehen.
Das liegt auch an der Textverständlichkeit der Schauspieler. Das "ungeheure Schicksal der Provinzen" findet ebenso Erwähnung wie der Untergang der Armada. Allerdings kommt das höfische Leben im al-fresco-Stil nicht zum Vorschein, denn auch die Musik von Karsten Riedel versetzt das Geschehen eher in unsere Zeit. Marquis von Posas Ruf nach Freiheit endet hier in einer tödlichen Katastrophe. Die dramaturgische Zuspitzung des Geschehens ist dabei gut gelungen. Die Handlungsbrüche in den beiden letzten Akten kann David Bösch überzeugend verbinden. Da wächst auch die Qualität der Inszenierung. Die sich gefährlich verselbstständigenden Handlungen lassen sich so sinnvoll ins Geschehen einbinden.
Deutlich wird in jedem Fall, dass die zentrale Szene in diesem Stück die Audienzszene im dritten Akt (10. Auftritt) ist, bei der Philipp den Marquis von Posa als Malteserritter empfängt. Diese Begegnung wird dann auch für die weitere Entwicklung Philipps entscheidend, was die Inszenierung deutlich herausarbeitet. Posa versteht die Isolation des absoluten Herrschers. Und weil er sich verstanden fühlt, ist der König bereit, sich die Idealvorstellung Posas von einer anderen Art der Herrschaft anzuhören.
Der metaphysische Gehalt der Dichtung kommt jedoch manchmal zu kurz. Wenn Philipp und Don Carlos erscheinen, kommt es zum Zusammenstoß zweier Zeitalter. Die Unterschiede zwischen Schillers Sprache und der heutigen sind auffallend, das zeigt sich auch in der Semantik. Und trotzdem ist es David Bösch hier immer wieder geglückt, eine Brücke vom 16. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart zu bauen. Felix Strobel lässt als Don Carlos aber auch die Ironie immer wieder aufblitzen, die zu den rhetorischen und stilistischen Mitteln dieses dramatischen Gedichts gehört. Aufgrund seiner Auseinandersetzung mit Kant entwickelte Schiller bei der Rolle Elisabeths die Ankündigung klassischer Harmonie. "Anmut" soll hier als Harmonie von Sinnlichkeit und Sittlichkeit erscheinen. Und Frida-Lovisa Hamann als Elisabeth gelingt es sehr gut, die Zerstörung ihrer "schönen Seele" zu verdeutlichen. Aufgrund der herausragenden schauspielerischen Leistungen gab es am Schluss großen Publikumsjubel.