Die Zimmertüren scheinen auf ein Stundenhotel hinzudeuten, ihre Nummerierung verweist jedoch auf große historische Ereignisse wie etwa das Jahr des Beginns der französischen Revolution oder die „Entdeckung Amerikas“ durch Kolumbus. Dann gibt es noch rätselhafte Figuren, die auf der Bühne wie Schattenwesen aus Plutos Reich herumschweben. Ob es sich da um verflossene Liebschaften handelt? Manchmal fungieren sie auch als Kommentatoren, indem sie im Hintergrund eine Parallelgeschichte, eine andere Version zum Hauptgeschehen darstellen.
Denn das ist das eigentliche Anliegen Grubers, die von da Ponte und Mozart bewusst offengelassenen Fragen auszudiskutieren und so die Scheinheiligkeit der gesellschaftlichen Moral zu entlarven. Zugleich regt sie an, sich ein differenzierteres Bild von Don Giovanni zu machen. Er verliert dann auf einmal etwas von seinem Image als wüster Lustmolch, wird eher zum Charmeur, der den Frauen das gibt, was sie eigentlich wollen, nur dass sie niemals wagen würden, sich dazu öffentlich zu bekennen, da sie einen hohen moralischen Anschein wahren müssen. Also gegenseitiges Einvernehmen statt me too? Nicht so ganz, denn alles in allem ist Don Giovanni doch eher der Eroberer, der mit einer hohen Anzahl von Liebschaften protzen möchte und dann doch auch nicht vor Täuschungen zurückschreckt.
Gilt Don Giovannis Motto der Freiheit auch für die Frauen? Anscheinend nicht, denn Lügen und Beschwichtigungen gegenüber dem Vater und dem Verlobten von Seiten Donna Annas sind die tragische Konsequenz. Und dann gibt es natürlich auch Missverständnisse, Donna Elvira möchte ihn gerne zur Monogamie bekehren und mutiert dabei unversehens zur nervtötenden Stalkerin.
Auch Leoporello (Beniamin Pop) wird hier nicht als der lustige Geselle gezeichnet, der Spaß an der Unterstützung der amourösen Abenteuer seines Herrn hat, sondern als jemand, der es nicht schafft, sich aus diesem unguten Arbeits-und Abhängigkeitsverhältnis zu lösen und sich durch zwanghaftes Ritzen Erleichterung verschafft.
Das allseits bekannte und beliebte Duett "La ci darem la mano" wird durch eine Videoeinblendung mit zuckersüßem, zeichtrickfilmanimiertem Schloss Walt Disneyscher Prägung kommentiert, um die falschen Versprechungen Don Giovannis zu ironisieren und sie dahin zu verweisen, wo sie hingehören: ins Märchenreich.
Allein der Schluss ist etwas zu dick aufgetragen, wenn der Komtur als Papst erscheint und alle sich ihm scheinheilig betend unterwerfen.
Don Giovanni muss sterben weil er gefährlich ist, weil er die Moral und die gesellschaftliche Lebensweise in Frage stellt, weil er die Freiheit nicht nur fordert, sondern auch lebt. Am Ende ist aber nicht nur Don Giovanni verschwunden, sondern alle sind um die Erfahrung reicher, dass sie nicht die sind, die sie zu sein glaubten und dass sich ihre Zukunft anders gestalten wird als gedacht.
Karoline Gruber liefert in ihrer Inszenierung also einen frischen und ungewohnten, zuweilen rätselhaften, manchmal auch mit etwas zu vielen Andeutungen gespickten Blick auf eine der beliebtesten Mozart Opern, und sie fordert damit auf, sich noch einmal neu damit auseinanderzusetzen.
Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Harry Ogg enthielten sich aller Süßlichkeit und musizierten schwungvoll. Alle Sängerinnen und Sänger sangen und spielten überzeugend und waren bestens aufeinander eingestellt, so dass sich ein harmonischer Gesamteindruck ergab.
Für die überragenden Leistungen von Orchester, Chor und Gesangsensemble gab es rauschenden Applaus.
"Don Giovanni" von Wolfgang Amadeus Mozart
Musikalische Leitung: Harry Ogg
Inszenierung: Karoline Gruber
Bühne: Roy Spahn
Kostüme: Mechthild Seipel
Licht: Franz-Xaver Schaffer
Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach
Don Giovanni: Richard Šveda
Donna Anna: Sylvia Hamvasi
Don Ottavio: Jussi Myllys
Komtur: Sami Luttinen
Donna Elvira: Luiza Fatyol
Leporello: Beniamin Pop
Masetto: Žilvinas Miškinis
Zerlina: Lavinia Dames
Chor der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorfer Symphoniker
10.09.–22.12.2022
Opernhaus Düsseldorf