Auch die Klärung der Vorgeschichte verläuft hier nicht ohne eine gewisse Ironie. Und der greise Chor mit Teresa Annina Korfmacher, Jannik Mühlenweg und Valentin Richter kündet machtvoll von der religiösen Auffassung, dass nur die Furcht vor der Gottheit und weise Besonnenheit die Haltung des Menschen im irdischen Dasein bestimmen dürfen. Hier gibt es rasante Einlagen mit der Musik von Christopher Uhe und den Musikern Meike Boltersdorf und Tim Neumaier. Die Orakel sprechen hier ebenfalls eine deutliche Sprache. Der Charakter des Königs Ödipus wird dabei als hochfahrend, leicht jähzornig und unbeherrscht dargestellt, wobei Thomas Hauser die ironischen Komponenten nicht außer Acht lässt.
Die Katharsis, Reinigung und Läuterung der Seele wird in der subtilen Inszenierung von Stefan Pucher mit dem überdimensionalen Bühnenbild von Nina Peller deutlich. Michael Stiller nimmt als warnender Seher Teiresias ebenfalls eine zentrale Rolle ein. Und die Kostüme von Annabelle Witt unterstreichen die Verstrickung von antiken und heutigen Verbindungen. Mit der suggestiven Figur der Pythia (die von Katharina Hauter ausdrucksvoll verkörpert wird) lässt der Autor Thomas Köck die Stimme des Orakels von Delphi auftreten, die im Drama von Sophokles nicht vorkommt. Pythia ist hier eine weissagende Priesterin, die sagt, was sie sieht. Pythia ist außerdem eine realistische Priesterin, die in der Darstellung von Katharina Hauter ihre Arbeit ernst nimmt.
Kreon ist bei Stefan Pucher in der Verkörperung von Sebastian Röhrle eine Art altgedienter Sozialdemokrat, der nicht verstanden hat, dass sich die Welt gewaltig verändert hat. In der Inszenierung wird deutlich, dass sich hier zwei Vertreter unterschiedlicher Konzepte der politischen Führung gegenüberstehen. Menschen, die im Wohlstand leben, bemitleiden sich dabei auch selbst. Dies gilt für die von Therese Dörr mit wilder Emphase wie Klytämnestra dargestellte Mutter Iokaste sowie für die sterbende Priesterin in Gestalt von Celina Rongen, eine Botin (plastisch dargestellt von Josephine Köhler) sowie für die von Marietta Meguid gespielte Dienerin. Diese Muttermetamorphosen besitzen etwas Rätselhaftes, Unlösbares. Stellenweise besteht die Gefahr der Oberflächlichkeit und des Klamauks, die das tragische Geschehen eigentlich ins Lächerliche ziehen.
Doch viele Bilder unterstreichen auch den logischen Sinn der Handlung (Live-Kamera: Hannes Francke, Ute Schall). Der Mörder, den Ödipus sucht, ist er selber. Der tragische Weg zwischen Theben und Delphi tritt grell ins Rampenlicht. Ödipus hat seinen Vater Laios erschlagen und seine Mutter Iokaste geheiratet: "Stumm starren wir in Himmel die kein Wasser bringen..." Das "System Laios" wird von Thomas Köck gnadenlos durchleuchtet. Es ist ein System, das glaubt, sich alles untertan machen zu können. Dadurch winkt die Unsterblichkeit. Laios wird hier von seinem eigenen Sohn mit dem Auto überfahren, der Autor überträgt die Antike in die heutige Zeit.
Das Stichwort Klimawandel führt Ödipus bei Thomas Köck direkt in die Tragödie. Er hat seine eigene Mutter geheiratet, Kinder mit ihr gezeugt und sich dafür selbst geblendet. Damit ist der Untergang der Menschheit eigentlich besiegelt. Und der Chor besingt dieses "Plateau der Erschöpfung", in dem Politiker hilflos agieren und kläglich versagen. Über allem thront überdimensional das Haupt der Medusa, wodurch das Ambiente in monumentaler Weise beschworden wird. Diese Bilder besitzen durchaus etwas Magisches, Beschwörendes. Eine unheimliche Aura breitet sich hier in geheimnisvollem Nebel wie das Orakel von Delphi aus.
Die Verbannung des Ödipus aus Theben verläuft sehr konsequent: "Es ist etwas faul im Staate Theben". Shakespeare-Verweise offenbaren aber auch die Schwächen dieses Textes. Gleichzeitig gibt es trotz allem Pessimismus Hoffnung: "Also, bis bald!" Da bleibt man dann als Zuschauer ziemlich ratlos zurück, wähnt sich gar in einer grotesken RTL-Show. Ist die Zerstörung der Erde doch noch aufzuhalten? Es ist eine Inszenierung, die vor allem bei jungen Zuschauern gut ankommt. Viel Applaus, "Bravo"-Rufe.