Aus den insgesamt 100 Novellen hat der russische Regisseur Kirill Serebrennikov zehn Geschichten für zehn deutsche und russische Spieler_innen ausgewählt und ins Heute übertragen. Nicht auf einem toskanischen Landgut, sondern in einem profanen Gymnastikraum treffen Figuren unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft aufeinander. Hier trainieren auch sieben alte Frauen ihre Körper – Routinen gegen das Altern, den Tod. Die Bedrohung ist nicht in einem Außen verortet, sondern in der vergänglichen und verletzlichen Physis.
Damit verschiebt Kirill Serebrennikov den Fokus von der antiklerikalen, subversiv erotischen Ausrichtung hin zu einer unheimlichen, existentiellen Körper- und Zeitbetrachtung, musikalisch strukturiert durch den Wechsel der Jahreszeiten. Was hat noch Bedeutung angesichts der Vergänglichkeit? Die Liebe. Das gesprochene Wort.
Kirill Serebrennikov, Theater- und Filmregisseur, Leiter des Moskauer Gogol-Center, ist in Deutschland bisher vor allem als Opernregisseur in Erscheinung getreten. Decamerone wird seine erste Schauspielinszenierung hierzulande sein, gemeinsam entwickelt mit einem gemischten Ensemble und künstlerischen Team aus Moskau und aus Berlin.
Die ursprünglich für die Spielzeit 2018/2019 geplante Inszenierung von Decamerone war aufgrund eines umstrittenen Strafprozesses gescheitert. Der Regisseur Kirill Serebrennikov war von August 2017 bis April 2019 von den russischen Behörden unter Hausarrest gestellt worden, was die Realisierung einer Schauspielinszenierung am Deutschen Theater unmöglich machte. Als Zeichen der Verbundenheit mit Kirill Serebrennikov konnte das Deutsche Theater seine Inszenierung Who Is Happy In Russia erfreulicherweise während des internationalen Auftaktes Radar Ost des Festivals Autorentheatertage 2019 als Gastspiel zeigen und damit auch ein wichtiges politisches Signal für den damals noch immer mit einer Ausreisesperre belegten Künstler setzen.
Nachdem es im Sommer 2019 noch so schien, als könne Kirill Serebrennikov für die Proben zu Decamerone nach Berlin kommen, hat sich der Wind kurz danach wieder gedreht. Die Meldung von einer Neuauflage seines gerichtlichen Verfahrens, die uns im September 2019 erreichte, konfrontierte alle Beteiligten mit Schwierigkeiten: Die Ausreise aus Russland ist Kirill Serebrennikov während des laufenden Verfahrens nicht erlaubt, so dass die Realisierung des Projekts erneut in Gefahr zu geraten drohte.
Es entstand die Idee, eine Kooperation zwischen dem Deutschen Theater Berlin und dem Gogol-Center Moskau zu initiieren, um die gemeinsame Zusammenarbeit trotz widriger Umstände zu ermöglichen. Einige Reisen nach Moskau und eine Reihe von Gesprächen später wird Decamerone nun mit deutschen und russischen Schauspieler_innen im Januar und Februar in Moskau geprobt. Dort wird Kirill Serebrennikov in den Räumlichkeiten des Gogol-Centers die Inszenierung mit dem Team erarbeiten. Die Proben haben vor wenigen Tagen begonnen. In einer kurzen Endprobenphase in Berlin, die durch einen seiner engsten Assistenten begleitet werden soll, wird die Arbeit auf die Bühne des DT übertragen.
Deutsch von Yvonne Griesel
Regie / Bühne Kirill Serebrennikov
Choreografie Evgeny Kulagin
Kostüme Tatiana Dolmatovskaya
Komposition / Musikalische Leitung Daniel Freitag
Video Ilya Shagalov
Licht Robert Grauel, Sergey Kucher
Regieassistenz Anna Shalashova
Dramaturgie Birgit Lengers
Die DT-Ensemblemitglieder Marcel Kohler, Jeremy Mockridge, Almut Zilcher und Regine Zimmermann sowie die Diseuse Georgette Dee spielen mit russischen Schauspielkolleg_innen des Gogol Center sowie mit Laien.
Fillip Avdeev, Georgette Dee, Yang Ge, Oleg Gushchin, Marcel Kohler, Georgiy Kudrenko, Jeremy Mockridge, Aleksandra Revenko, Almut Zilcher, Regine Zimmermann, Daniel Freitag, Isabelle Klemt, Maria Schneider
Musiker_innen
Ursula Bischoff, Danuta Bodnar-Lazarowa, Bettina Haeseke, Monika Peters, Elfriede Poschidajew, Rose Marie Saalfeld, Christel Waschke, Sophie Westphal
Alte Frauen (Statistinnen)
Koproduktion mit dem Gogol-Center Moskau
Premiere Gogol-Center Moskau 25. Juni 2020
Mit freundlicher Unterstützung von dem Goethe-Institut, den DT Freunden und Manfred Wolff.