
Das kraftvolle h-Moll-Presto stach sehr markant hervor - und auch das graziöse g-Moll-Allegro besaß starke Reize. Eigenwilligkeit und Formkraft beherrschten diese Miniaturen, in denen sich Beethoven auch durchaus kämpferisch und energisch zeigt.
Mit sehr eigensinniger Rhythmik, aber auch durchaus einfühlsam interpretierte Alexander Gadjiev dann die Mazurken von Frederic Chopin. Punktierte Rhythmen und chromatische Gänge besaßen bei dieser Wiedergabe besondere Reize. Leidenschaftliche Passagen blitzten bei der Mazurka Nr. 4 in b-Moll op. 24 auf, wo das Hauptthema eindrucksvoll in eine zwischen Dur und Moll schwankende Coda mündete. Die melodische und harmonische Charakteristik wurde hier bei allen drei Werken sehr gut erfasst.
Eindringlich gestaltete Alexander Gadjiev die Werke von Claude Debussy. Das Präludium Nr. 1 aus Heft Nr. 2 "Brouillards" spielte er einfühlsam, wobei die Prozesse der "Klangchemie" den Hörer fesselten. Scheinbare C-Dur-Tonalität korrespondierte mit geheimnisvollen Fremdklängen, die sich verdichteten. Ein Dreiklang mit Zwischentönen schuf hier eine seltsame Aura. Immer wieder hatte man den Eindruck, dass zwei Klangebenen nebeneinanderstehen.
Beim Präludium Nr. 7 "La terrasse des audiences du claire de lune" von Debussy dominierten exotische Einflüsse - das Werk soll von einem indischen Reisefeuilleton angeregt worden sein. Schweifende Klänge und ekstatische Empfindungen ergänzten sich bei diesem rhythmisch ungewöhnlichen Spiel gegenseitig. Die klaren Formgesetze wurden nirgends vernachlässigt, der Tritonus bildete die präzisen Strukturen. "Tristan"-Chromatik und schwelgende Terzen und Sexten sorgten für fulminante Steigerungen.
Beim Präludium Nr. 8 aus Heft Nr. 2 "Ondine" überzeugte das sensibel betonte Zauberreich des Märchens. Lichtfunkelnde Strahlen und bitonale Arpeggien berührten den D-Dur-Klang voller Reinheit. Alexander Gadjiev ging glücklicherweise nicht allzu frei mit Tempo und Dynamik von Debussy um. Die Rubato-Vorschriften wurden eingehalten. Noch überzeugender war seine Wiedergabe der drei Etüden von Alexander Skrjabin.
Extreme Weitgriffigkeit, virtuose Sprung- und Akkordtechnik und differenzierte Polymetrik behaupteten sich bei der Etüde Nr. 4 Fis-Dur aus op. 42 ebenso wie bei der Etüde Nr. 5 cis-Moll op. 42, deren ausserordentlichen Schwierigkeitsgrad Gadjiev souverän meisterte.
Nicht so tastendonnernd wie Vladimir Horowitz, aber voller ekstastischer Emphase und elektrisierender Präzision intepretierte er Skrjabins Etüde Nr. 12 dis-Moll aus op. 8.
Ein Höhepunkt dieses bemerkenswerten Klavierabends war zuletzt der Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgsky, die man ja vor allem in der Orchesterfassung von Maurice Ravel kennt. Magische Suggestionskraft sowie Impressionismus und Naturalismus wurden dabei sehr gut miteinander verbunden. Eine Ausstellung von Aquarellen und Zeichnungen des mit Mussorgsky befreundeten Architekten und Malers Viktor Hartmann gab den Impuls zu diesem Werk. Der marschartige Satz "Promenade" wurde in seiner Sonderbarkeit voll erfasst, was auch für den Wechsel von Fünfviertel- und Sechsvierteltakt galt. Das erste Bild "Gnomus" charakterisierte die groteske Welt des Zwerges treffsicher. Und der ostinate Bass auf Gis klang bei "Das alte Schloss" schauerlich. Mussorgskys Lieder "Aus der Kinderstube" klangen stark bei den "Tuilerien" an. Schwere Ostinato-Bässe unterstrichen den polnischen Ochsenkarren "Bydlo". Staccati, Vorschläge und Trillerketten überschlugen sich förmlich beim "Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen". Auch das Porträt der beiden Juden und die heftig streitenden Weiber auf dem "Marktplatz in Limoges" überzeugten die Zuhörer aufgrund spieltechnischer Akribie. Die schwer lastenden Akkorde in fremdartiger harmonischer Verbindung und auf einer dissonanten Fermate beschrieben das unheimliche Bild der "Katakomben". Barbarische Rhythmen und Akzente explodierten dann förmlich bei "Die Hütte der Baba Yaga", wobei man die Wut der Hexe mit sarkastischer Schärfe heraushörte. Hier erbrachte Alexander Gadjiev seine beste Leistung. Die naturalistisch kühne Harmonie der Choralweise bei "Das große Tor von Kiew" überwältigte das Publikum ungemein.
Als Zugabe folgte noch melancholisch-traumverloren ein Prelude von Frederic Chopin. Begeisterter Schlussapplaus und "Bravo"-Rufe!