Der umsichtige Dirigent Domingo Hindoyan war bei der Aufführung im ausverkauften Festspielhaus jedenfalls in der Lage, neue Ausdrucksgebiete in eindringlicher Weise zu Gehör zu bringen. Der Charakter der Musiktragödie wurde hier in jeder Hinsicht fesselnd herausgearbeitet. Das eindringliche Melos der Liebesgesänge gestalteten die Sängerdarsteller fesselnd. Und schon der Beginn in der Kirche Sant' Andrea della Valle besaß packende Wucht. Dem Tenor Riccardo Massi gelangen als Cavaradossi immer wieder leuchtkräftige Spitzentöne. Und vor allem auch die Sopranistin Sonya Yoncheva überzeugte bei ihrer Darstellung der Tosca mit bemerkenswertem Klangfarbenreichtum und leidenschaftlichem Timbre. Die intensive kantable Melodie stach immer wieder glanzvoll hervor.
Ein faszinierendes Rollenporträt bot schließlich Erwin Schrott als Polizeichef Scarpia, der die vielschichtigen Facetten dieser Figur mit markanter Baritonstimme zu Gehör brachte. Gleich im ersten Akt überzeugten Riccardo Massi und Sonya Yoncheva als darstellerisch überwältigendes Liebespaar. Erwin Schrott trat hier als schroffer Störfaktor robust ins Geschehen ein - und so gewann die Szene beim Hochamt eine monumentale Struktur. Dabei konnte auch der fulminante Chor der Bühnen Bern glänzen.
Gerade im zweiten Akt kam es dann bei der zentralen Auseinandersetzung zwischen Tosca und Scarpia nochmals zu einer gewaltigen Steigerung, Puccinis dramaturgischer Spürsinn imponierte trotz der fehlenden Inszenierung. Toscas berühmte Arie "Vissi d'arte, vissi d'amore" gefiel in der Interpretation von Sonya Yoncheva zum einen durch ein intensives lyrisches Timbre, zum anderen aufgrund der geistigen Durchdringung der Figur. Und auch die subtile Leitmotivtechnik fiel besonders positiv auf. Polyphone Stimmungen wurden sehr gut herausgearbeitet. Dies galt auch für die Passage vor dem Largo religioso, als Tosca verzweifelt die Kirche verließ. Da wurde nämlich trotz fehlendem Bühnenbild auch ausgezeichnet gespielt.
Die 45 teils orchestralen und vokalen Motive überzeugten durch ihren Variations- und Klangfarbenreichtum, der von den Sängerinnen und Sängern immer wieder plastisch aufgegriffen wurde. Dies galt auch für die übrigen Sänger David Ostrek als Cesare Angelotti, Matteo Peirone als Mesner, Alvaro Zambrano als Polizeiagent Spoletta, Gerardo Garciacano als Gendarm Sciarrone und Schließer sowie für Kim Wettenschwiler als Hirtenknabe. Musikalische Phrasen enthüllten sich bei dieser bemerkenswerten Interpretation im Verborgenen und zeigten dann erst ganz allmählich ihren Wert und Sinn.
Das trat in zentraler Weise im dritten Akt zum Vorschein, als Tosca begriff, dass Cavaradossi keiner Scheinhinrichtung zum Opfer fiel, sondern tatsächlich getötet wurde.
Manche Passagen hätte man auch noch präziser herausarbeiten können. Doch dem Dirigenten Domingo Hindoyan glückten immer wieder feine Klangmischungen, die den Sängern zugute kamen. Jedes einzelne Instrument erhielt Gewicht. Manches klang ausgesprochen heterogen und durchsichtig. Farbliche Vielfalt beherrschte auch Cavaradossis Arie "E lucevan le stelle", während das Scarpia-Motiv durchaus eine packende dämonische Wucht erhielt.
Für das Gstaad Menuhin Festival war dieses Gastspiel in Baden-Baden jedenfalls ein voller Erfolg. Der Puccini-Oper im Konzert sollen auch in den Jahren 2024 und 2025 weitere Konzerte folgen, die jeweils in Gstaad im Berner Oberland geprobt und nach Aufführungen dort auch in Baden-Baden zu hören und zu sehen sein werden. Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa betonte, dass die Zusammenarbeit mit dem Gstaad Menuhin Festival zum Ansatz passe, auch in der Kultur nachhaltiger auf höchstem Niveau zu produzieren. Der künstlerische Leiter des Gstaad Menuhin Festival & Academy, Christoph Müller, bemerkte hierzu, dass es ein Glücksfall sei, "unsere Eigenproduktion" mit dem Festspielhaus Baden-Baden teilen zu können.
Für das gesamte Ensemble gab es Ovationen und "Bravo"-Rufe.