Mit „Das Schiff“ nähert sich Ulbe Produktion der tragischen Künstlerfigur Thomas Chatterton in Form einer begehbaren Theaterinstallation. Die Zuschauer bahnen sich einzeln ihren Weg – immer unerkannt mit an Bord, als blinder Passagier: Chatterton. Ulbe Produktion setzt den zwiespältigen Protagonisten aus Hans Henny Jahnns Theaterstück in Szene und geht der Frage nach, wie wir heute unser „Ich“ zurückerobern können, um realen Widerstand zu leisten – ohne Angst vor Abgründen. Ein poetischer Abend, an dem die Zuschauer in der Szenerie eines Gebrauchtwaren-Kaufhauses eine vielfältige Installation erleben: Über Kopfhörer verfolgen sie eine Geschichte und begegnen immer wieder Projektionen und szenischer Darstellung.
Die Tragödie Thomas Chatterton von Hans Henny Jahnn beschäftigt sich mit der realen Figur Thomas Chatterton, einem jungen Dichter, der im 18. Jahrhundert in England lebte. Er nahm den Kampf gegen gesellschaftsbedingte Ungerechtigkeit auf, doch seine Versuche, durch höchste Subjektivität eine radikal andere Welt(ansicht) zu proklamieren, wurden verkannt und blieben vergeblich. Erst nach seinem Tod wurde er zum tragischen Helden stilisiert: Die Gesellschaft, die ihn an den Rand der Existenz gedrängt hatte, hofierte ihn posthum als jugendlichen Rebell.
Vergeblich. Es ist nichts dahinter, kein Gang, keine Treppe. Einbildungen. Möglichkeiten. Herr Aburiel: irgendein Schatten, Begegnung im Mondschein, Kirchhofsbekanntschaft. Ein Wesen ohne Geld und Brot.
Und die anderen: Tintengespenster, flacher als Papier, nicht einmal Asche, wenn man das Ochsenblut verbrennt, aus dem sie als Buchstaben gemacht sind. Statt eines Dichters, der ich bin, erscheine ich als Fälscher, der ich nicht sein möchte. Der Betrug bringt Geld, die Leistung Hohn. Wo aber ist Chatterton, der eigentliche Tom, den noch niemand gesehen hat, nicht einmal Tom selbst? Dieser hier auf dem Stuhl ist es nicht. Unter dem Schädeldach, innen, im pumpenden Herzen, innen, in seinem Geschlecht, innen – ist Thomas vorhanden.
Ja, Thomas Chatterton ist vorhanden. Nach seinem Tod wird Chatterton von der von ihm bekämpften Gesellschaft einverleibt zum tragischen Helden stilisiert. Plötzlich wird sein Leben zum Symbol des Strebens nach Freiheit und den vergeblichen Kampf nach Annerkennung. – Nachträglich wird seiner Existenz Bedeutung geben. Die Gesellschaft, die das Individuum an den Rand der Existenz drängt, hofiert nun den Toten als jugendlichen Rebellen … die (Mund-)Toten sind wohl einfacher zu handhaben, als die Lebenden. Ulbe Produktion setzt Chatterton als zwiespältigen Protagonisten in Szene und geht der Frage nach, wie wir heute unser »Ich« zurückerobern können, um realen Widerstand zu leisten – ohne Angst vor Abgründen.
Wie kann ein Individuum aktiv Widerstand gegen gesellschaftsbedingte Ungerechtigkeit leisten, ohne sich selbst in Monstrositäten zu verlieren? Thomas Chatterton hat den Kampf aufgenommen und ist daran gescheitert. Seine Versuche durch höchste Subjektivität eine radikal andere Welt(ansicht) zu proklamieren, werden verkannt und bleiben vergeblich.
Über Ulbe Produktion:
Ulbe Produktion ist eine Theaterproduktionsgemeinschaft und wurde 2008 von der Filmemacherin Bettina Eberhard und der Schauspielerin Ulrike Schwab in Köln gegründet. Ulbe Produktion befasst sich mit Projekten, die sich am Ursprung von Theater, Performance bzw. Happening orientieren. Die genreübergreifenden Arbeiten integrieren Alltag und Straße als Spielraum und machen den Zuschauer zum aktiven Teil. Ulbe Produktion arbeitet mit Künstlern und Organisationen verschiedenster Sparten zusammen. Das Debütprojekt „Macbeth in den Städten“ (2009) wurde für den Kölner Theaterpreis nominiert und, genauso wie die Produktion „Kohlhaas. Protestspiele. Köln.Kalk“, von Publikum und Presse begeistert aufgenommen.
Eine Theaterinstallation, einzeln begehbar
Dauer: ca. 45 Minuten
Von und mit: Ulbe Produktion – Bettina Eberhard & Ulrike Schwab (Regie und künstlerische Leitung), Nicola Leonard Hein (Musik), Venus Madrid (Sprecher), Ralf Harster (Performance), Dorissa Lem (Performance)
Weitere Vorstellung: 2. Dezember 2017, 20 Uhr