Inácio isst Popcorn, ein bisschen legt er auf den Congá, den Altar für die Orixás, die afrobrasilianischen Gottheiten. Dann klopft es ans Fenster. Graça verwandelt sich in einen evangelikalen Gläubigen, eine Diskussion über Moral entbrennt und endet in einen Tanz mit Exu, dem Götterboten, Sinnbild für Veränderung, Bosheit und Lüsternheit.
Besessen von brasilianischen Stereotypen führen Inácio und Graça durch die facettenreiche Identität des Landes: „Cavalo de Santo“, Pferd des Heiligen, nennt sich in der afrobrasilianischen Religion derjenige, von dem ein Halbgott oder ein Geist aus der Vergangenheit Besitz ergreift. Wie in einem bunten Kaleidoskop verwandeln sich die beiden in Figuren aus dem brasilianischen Leben: Die junge Graça erzählt über ihr Leben zwischen Armut und sexueller Ausbeutung, der französische Tourist sucht nach schönen Stränden und schneller Liebe, die korrupte Polizistin lässt sich Stillschweigen und Leichenentsorgung bezahlen. Nicht fehlen darf natürlich der Fußball, Musik, Tanz und der brasilianische Karneval: Symbole eines Landes mit einer besonderen Geschichte, gespeist aus der Kultur der brasilianischen indigenen Bevölkerung, der afrikanischen Sklaven und der europäischen Kolonialherren. Die Ursprungskulturen wurden verschlungen, verdaut, Unbrauchbares ausgeschieden. Etwas Neues, Vielschichtiges und Eigenes entsteht.
Der Regisseur Jessé Oliveira lebt und arbeitet in Porto Alegre, Hauptstadt des südlichsten Bundeslandes Brasiliens. 2002 gründete er die afrobrasilianische Theatergruppe “Caixa Preta“ (Blackbox), mit der er hauptsächlich Klassikerinszenierungen erarbeitet, in denen er afrobrasilianische Tradition mit heutigen Mythen und Archetypen verknüpft. Dabei arbeitet er mit der Autorin Viviane Juguero zusammen, die für das Theater Krefeld und Mönchengladbach im Rahmen der Reihe außereuropäisches Theater das Stück Cavalo de Santo - Das Pferd des Heiligen geschrieben hat. Er inszenierte bisher über vierzig Stücke und war zu zahlreichen Festivals in Brasilien, Uruguay, Argentinien, Venezuela, Chile und Cuba eingeladen. Oliveira arbeitet zum ersten Mal in Europa.
Übersetzung: Senia Hasičević