Die inzwischen 85-jährige Bäuerin Lisa Böckwitz erwartet von ihrem kurz vor der Rente stehenden Sohn Ernst, dass er seinen Beruf aufgibt, um den maroden Hof in einen florierenden Agrarbetrieb zu verwandeln. Die Enkelinnen drohen den Hof anzuzünden, weigern sich aufs Land zu ziehen. Anträge, Auflagen, Grenzwerte, Normen und der Ehrgeiz seiner Frau machen es Ernst schwer, dem Wunsch seiner Mutter gerecht zu werden. So kämpft der Neubauer Ernst gegen den Starrsinn der Mutter, den Unwillen der Familie, die neidischen Nachbarn und den EU-Sumpf. DDR ist nicht mehr, Deutschland soll nicht mehr und Europa ist noch nicht.
„Komödie des Jammerns“ lautet der Untertitel zu einem neuen Stück des renommierten Berliner Autors Volker Lüdecke, das neben Shakespeares „Richard III.“ den Höhepunkt des Schauspielprogramms der Saison an Theater&Philharmonie Thüringen bildet. Denn am 15.2. erlebt die Thüringer Familien-Saga der etwas anderen Art im Großen Haus der Bühnen der Stadt Gera ihre Uraufführung. Schauspieldirektor Uwe-Dag Berlin zeichnet für die Regie verantwortlich, das Bühnenbild entwirft Wolfgang Reuter, die Kostüme Ute Lindenberg.
Volker Lüdecke wurde 1961 in Hannover geboren. Nach ersten Theatererfahrungen mit freien Theatergruppen in Deutschland und Frankreich machte Lüdecke eine Schauspielausbildung in Berlin an der Kirchhoff-Schule sowie der Hochschule der Künste und absolvierte außerdem eine einjährige Autorenwerkstatt an der HdK. Er arbeitet als Schauspieler an Berliner Off-Theatern, für Fernsehproduktionen, als Regisseur, als Autor (u.a. für die FAZ und Die Welt). 1997 wurde sein Stück Darja mit dem Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis ausgezeichnet. Seine Werke wurden unter anderem am Pfalztheater Kaiserslautern und am Maxim-Gorki-Theater Berlin uraufgeführt. „Aufstieg zu Prospero“ wurde 1988 zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen.
Autor Volker Lüdecke 2007 zu seinem Stück „Bauernstaat“
Um eine Komödie zu schreiben, die auf Tatsachen beruht, muss man als Autor weder persönlich betroffen sein, noch seine Recherche auf einem Campingplatz vor Ort betreiben. Viel wichtiger beim Schreiben ist der Blick von außen, um aus einer berichteten, authentischen Lebensgeschichte, dem Kummer und dem Jammern der Betroffenen, den Stoff für eine Komödie formen zu können.
Im Jammern liegt ja, genauso wie in der Hypochondrie, eine Komik an sich. Die Distanz zu jener fremden Familiengeschichte erleichtert das Erzählen ihrer komischen und tragischen Seiten, ermöglicht das Überspitzen genauso wie das Reduzieren von Überflüssigem.
Diese Freiheit erlaubt das Genre der Komödie dem Autor, der ja nebenbei auch die Verantwortung hat, die realen Personen unkenntlich werden zu lassen, um sie zu schützen.
Aber eine Komödie jenseits des Boulevard und puren Volkstheaters nimmt auch die gesellschaftlichen Umbrüche in den Blick, die das Besondere der Lebensgeschichte hervorgerufen haben.
In „Bauernstaat“ ist es die Erinnerung an die Geschichte der Enteignung von Bauern in der DDR, die Wiedererlangung ihres Besitzes nach 1989 und die Folgen für jene, die nach Jahren in anderen Berufen plötzlich wieder Bauern werden könnten. Erwähnung findet auch der neuerliche Umbruch durch die Konditionen von Europa, die manchen wieder auferstandenen „Bauern“ überfordern oder seine Existenz sogar unmöglich werden lassen.
Ob der Staat per Gesetz enteignet oder der Markt durch die Insolvenz, ist für die Betroffenen jeweils nur der tragische Kontrapunkt im allgemeinen Lamento um den Besitz.
Die Frage ist, welche Fragen kann man heute stellen?