Am 6. Mai 2013 begann in München der größte Strafprozess Deutschlands seit der Wiedervereinigung. Am 11. Juli 2018 wurde das Urteil gesprochen. Fünf Angeklagte wurden beschuldigt, die Terrororganisation NSU gegründet oder unterstützt zu haben, eine rechtsradikale Gruppe, die zehn Menschen ermordet, drei Sprengstoffanschläge verübt, eine Brandstiftung und 15 Raubüberfälle begangen haben soll. In dem Verfahren wurden mehr als 600 Zeug*innen und Sachverständige gehört und über 60 Anwält*innen vertraten die fünf Angeklagten und 91 Nebenkläger*innen an 438 Prozesstagen.
Die vier Journalist*innen der Süddeutschen Zeitung, Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler, haben die Verhandlung vom ersten Tag an lückenlos verfolgt. Aus ihren Mitschriften ist ein umfangreiches Protokoll und damit auch ein Stück deutscher Geschichte entstanden, das ein Gesamtbild von zehn Jahren Terror, dem nicht endenden Schmerz der Opfer, dem eiskalten Vorgehen der Täter*innen, den Wegen der Ermittler*innen und der schwierigen Suche nach der Wahrheit vermittelt.
In der Kasseler Uraufführung entwickelt Regisseur Janis Knorr in enger Zusammenarbeit mit Dramaturgin Petra Schiller aus diesen Protokollen eine Bühnenfassung, die sich auf den Kasseler Mord an Halit Yozgat konzentriert, gleichzeitig aber versucht, sich sowohl inhaltlich als auch emotional mit dem gesamten „Kosmos“ des NSU-Prozess‘ auseinanderzusetzen. Während die Dialoge größtenteils aus Originalzitaten bestehen, wurden bewusst die Täter*innen gestrichen. Knorr und Schiller streben an die zugrundeliegenden, komplexeren Strukturen und Zusammenhänge herauszuarbeiten, jenseits von einem „wir gegen die“. Dabei wird in der Inszenierung auch der Einfluss der Medien, institutioneller Rassismus und gesamtgesellschaftliche Solidarität thematisiert. Es ist der Versuch, einen Umgang mit der Unfassbarkeit des Geschehenen und des Geschehenden zu finden; denn nicht erst seit dem Mord an Dr. Walter Lübcke wird deutlich, dass im NSU-Prozess viele Fragen offengeblieben sind, ja vielleicht gar nicht erst gestellt wurden.
Wie kann es beispielsweise sein, dass ein beim Mord an Halit Yozgat in Kassel anwesender Mann vom Verfassungsschutz nichts mitbekommen haben will? Wieso wurden Akten vernichtet, Informationen verschleiert oder zurückgehalten? Wer hat den NSU unterstützt? Und auch: welche Rolle spielt der NSU im hier und jetzt? Und wie gehen wir mit diesen Entwicklungen als Gesellschaft um?
Eine Stückentwicklung die hochaktueller, bewegender und komplexer nicht sein könnte.
Inszenierung: Janis Knorr,
Bühne und Kostüme: Ariella Karatolou,
Dramaturgie: Petra Schiller
Mit Meret Engelhardt (Richter Manfred Götzl), Rahel Weiss (Alle Anwält*innen, Ayse Yozgat, Ahmed A.), Hagen Bähr (Karsten R., Karl-Heinz G., Cihan B., Helmut W., Jörg T., Edith Gebhardt), Marius Bistrizky (Alle Verteidiger, Michael S., Benjamin G., Bernd Tödter), Thomas Bockelmann (Bundesanwalt Diemer, Volker Hoffmann, Lutz Irrgang, Hans-Joachim M., Jutta E., Gerald Hess, Jochen Weingarten), Artur Spannagel (Andreas Temme), Uwe Steinbruch (Ismail Yozgat)
Zu ausgewählten Vorstellungen finden Nachgespräche, u.a. mit Nebenklageanwält*innen des NSU-Verfahrens, dem Regisseur, der Dramaturgie und den Schauspieler*innen statt. Entsprechende Termine entnehmen Sie bitte der Website.
Sa 21 Sep19:30 Uhr
Fr 27 Sep 19:30 Uhr
Fr 04 Okt 19:30 Uhr
So 20 Ok t19:30 Uhr
Sa 26 Okt 19:30 Uhr
So 03 Nov 19:30 Uhr