Als Marlene Dietrich im Zweiten Weltkrieg vor amerikanischen Soldaten auftritt, kämpft sie auf ihre Art an vorderster Front. Sie schenkt Ablenkung, motiviert durch gute Laune, verhilft zu einem Stück Normalität im Kriegsgrauen. Dem Beispiel der Dietrich folgen weitere Sänger, Unterhaltungskünstler, Showgirls. Hier setzt Jürgen R. Weber mit seiner Revue „Frontgarderobe“ an. In Liedern, Tanz und Texten erzählt sie von zwei jüdischen Sängerinnen und ihren mal bizarren, mal dramatischen Erlebnissen an der Front. Zu sehen war die Premiere jetzt vor begeistertem Publikum in den Kammerspielen des Mainfranken Theaters im unterfränkischen Würzburg.
Der Hamburger Regisseur Jürgen R. Weber zeichnet für Inszenierung, Bühne, Videoeinspielungen und Kostüme verantwortlich, dabei kommt er mit wenig Requisite aus. Die beiden Sängerinnen tragen zuerst amerikanische Uniformen, später dann glitzernde Abendkleider. In O-Ton-Einspielungen sind Thomas Mann oder auch in drastischen Worten der US-General George S. Patton zu hören. Maschinengewehre feuern, Bombeneinschläge dröhnen und ziehen das Publikum im kleinen Kammerspiel-Saal mitten ins Kriegsgeschehen hinein.
Zum Inhalt: Die beiden jüdischen Künstlerinnen Rose (Anja Gutgesell) und Rachel (Barbara Schöller) sind vor dem Nazi-Terror nach Amerika geflüchtet. Als „Hope Sisters“ reisen sie von dort aus nach Frankreich, um amerikanische Truppen in einem Lager in der Nähe der Ardennen zu unterhalten. Bei einer Gegenoffensive der deutschen Wehrmacht, geraten sie auf die falsche Seite der Frontlinie. Jetzt müssen sich die jüdischen Frauen als deutsche Truppenbetreuerinnen ausgeben, um zu überleben.
Diese Geschichte erzählen und spielen Anja Gutgesell und Barbara Schöller zwischen den einzelnen Songs. Doch eigentlich sprechen bereits die insgesamt 20 Lieder für sich, um die vielfältigen Stimmungen der Zeit zwischen trotzigem Witz und tiefstem Leid zu zeichnen: Das Publikum erlebt nostalgische jüdische Folklore, etwa in „My jiddische Mame“, britische Spottpropaganda gegen Hitler und andere Nazi-Größen, süße Klänge wie das Abschiedslied „We`ll meet again“, russische Melancholie, französisches Chanson, aber auch die propagandistische Wucht eines Marschlieds der Waffen-SS. „Frontgarderobe“ wird zugleich zur kleinen Hommage an die großen Sängerinnen jener Zeit wie Zarah Leander, Edith Piaf, Lale Andersen - und natürlich Marlene Dietrich.
Mit Anja Gutgesell und Barbara Schöller in den Hauptrollen geht das Mainfranken Theater kein Risiko ein, das Publikum feierte das herausragende Bühnenduo in den Kammerspielen schon 2011 in der Musical-Revue „Garderobe Nr. 1“. Und auch diesmal punkten die beiden wieder mit Emotion, Humor, Ironie, Tanzeinlagen - vor allem aber mit herausragendem Gesang. Die beiden Charakterstimmen könnten unterschiedlicher kaum sein, und harmonieren vielleicht gerade deshalb so hervorragend, zum Beispiel im swingenden, geschnippten „Bei mir bistu shein“. Denn ja, recht haben die Beiden: Deutsch kann im richtigen Dialekt richtig schön klingen! Sein Übriges leistet Jeremy Atkin am Klavier – er interpretiert mal feinsinnig, mal kraftvoll, beherrscht das Virtuose, aber auch das sehnsüchtig Süße.
Anja Gutgesell steht auf der einen Seite für das Freche, Spritzige und für perlende Koloraturen. Sie haut als angeheiterte Rose einen Dietrich-Song mit rauchiger Überzogenheit heraus. Sie berührt auf der anderen Seite mit lyrischer Melancholie, etwa im russischen „Tjomnaja Noch“, und haucht eine reizende Version der „Lilli Marlen“ hin. Barbara Schöller ist indes die stimmlich Abgeklärtere, vor allem ihre tiefen, samtigen Töne fahren unter die Haut. Besonders emotional und echte Gänsehaut-Momente: Ihre Interpretation der Edith Piaf mit „L’accordéoniste“ sowie eine tiefgehende, melancholische Version der „Lili Marleen“.
Das Gesamtpaket der Frontgarderobe stimmt, das Publikum ist begeistert, denn: Die Geschichte berührt. Die Sängerinnen Anja Gutgesell und Barbara Schöller malen mit bewegenden, spritzigen, makabren, aber auch propagandistischen Songs ein anschauliches Zeitbild. Und auch der musikalische Leiter und Pianist Jeremy Atkin sorgt für viele klangliche Genussmomente.
Musikalische Leitung und Arrangements: Jeremy Atkin
Regie, Bühne und Kostüme: Jürgen R. Weber
Dramaturgie: Stephan Drehmann
Am Klavier: Jeremy Atkin
Rose: Anja Gutgesell
Rachel: Barbara Schöller
Premiere: 19. März 2015 | 20.00 Uhr | Kammerspiele.
Dauer: 80 Minuten (ohne Pause); nächste Vorstellungen, jeweils 20 Uhr: 22.03./ 29.03./ 01.04./ 08.04./ 10.04./ 25.04./ 07.05./ 16.05./ 28.05./ 10.06./ 12.06./ 21.06./ 24.06./ 16.07./ 18.07./ 24.07.