Lebewesen müssen sich vermehren. Auf dieses Naturgesetz stützen sich von jeher alle Religionen und Staaten. Besonders das weibliche Geschlecht wird an seiner Gebährfähigkeit gemessen. Eine kinderlose Frau sieht sich der versteckten oder offenen Geringschätzung durch ihre Umwelt ausgesetzt. So war es jedenfalls in früherer Zeit. Lorca beschrieb 1934 in seinem Stück 'Yerma' das Elend einer jungverheirateten Frau, die nicht schwanger wird, und das im strengkatholischen Spanien, wo weibliche Unfruchtbarkeit eine gesellschaftliche Katastrophe bedeutete.
Wie sieht die Situation heute aus? Seit der Entstehung von Lorcas Drama hat sich die Zahl der Menschen auf der Welt verdoppelt Man spricht von Überbevölkerung und scheitert trotz modernster Möglichkeiten kläglich an der Ernährung der Massen, besonders in den Entwicklungsländern. Gleichzeitig sind in den hochentwickelten Industriestaaten die Frauen selbstbewußt geworden und lassen sich nicht mehr auf die Mutterrolle festlegen. In Nordwesteuropa herrscht notorischer Geburtenrückgang, der unsere Gesellschaften überaltern läßt und uns mit Sorge wegen des allzu spärlichen Nachwuchses erfüllt.
Wer in diesem widersprüchlichen Klima die wunderbar dichterische, archaische Tragödie von Yermas Kinderlosigkeit inszeniert, muß einen besonders eindrücklichen Weg finden, um sie dem hiesigen Publikum zu erschließen.
Thomas Bischoff als Regisseur und Ute Kala als Bühnenbildnerin setzten auf die zeitlose Symbolkraft des Textes und auf eine getragene, strenge Form. Jede spontane Regung wurde von der Bühne verbannt. Es geht nicht um Einzelschicksale, sondern um prototypische Vorgänge in einer erbarmungslosen Welt.. Blutrote bewegliche Wände vor schwarzem Grund umrahmen die abgezehrten, schwarz- oder weißgekleideten Spielerinnen und Spieler, die seltsam auswechselbar und gleichzeitig beispielhaft wirken.
So wird in starken Sinn-Bildern, mit der magischen Sprache und mit schöner Begleitmusik eine Grundproblematik der Menschheit zelebriert. Die Aufführung ist von hoher Qualität, ich konnte mich dem Sog dieser bis ins Letzte ausgeklügelten Inszenierungskonzeption nicht entziehen.
Das Premierenpublikum spendete den Schauspielern großen Applaus, dem Regisseur Bravos und Buhs in gleichwertiger Verteilung.
Premiere 14. Oktober 2000