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"Ouvertüren der Einsamkeit"

Detlev Glanerts "Caligula"-Oper in Köln

Copyright: Klaus Lefebvre

Er gilt als einer der größten Schurken und Lüstlinge der an solchen Schauergestalten ohnehin überreichen Weltgeschichte: der römische Kaiser Caligula (12-41). Nimmt man noch den angeblichen Wahnsinn und das gewaltsame Ende hinzu, so sind alle Momente beisammen, um aus dem politisch eher unbedeutenden Tyrannen eine hochwirksame Reizfigur für die menschliche Fantasie zu machen. Schier endlos ist daher die Liste der populärwissenschaftlichen, belletristischen und literarischen Darstellungen über diesen Kaiser, bei denen sich historische Fakten, allerlei erfundene Anekdoten und schlichte Vorurteile zu einem unauflösbaren Knäuel verdröselt haben. Zu den wichtigsten Rezipienten der auf diese Weise vorbelasteten Caligula-Geschichte gehörte der französische Philosoph Albert Camus, der 1938 in Anspielung auf die totalitären Regime seiner Zeit ein entsprechendes Drama verfasste und damit die eigene Konzeption des Existenzialismus veranschaulichte. Die Sinnlosigkeit des Daseins erkennend, wird Caligula darin zum Prototyp des modernen Menschen, der in einer entgötterten und von Gewalt heimgesuchten Welt um einen tragfähigen Lebensentwurf ringt...

 

Mag auch Camus' "Caligula"-Schauspiel in theatralischer Hinsicht ein wenig blass und thesenhaft ausgefallen sein, so blieb es doch wirkungsvoll genug, um den Komponisten Detlev Glanert (*1960) und seinen Librettisten Hans-Ulrich Treichel zu einer Oper zu inspirieren. "Es wäre schön, wenn man das Libretto vorher liest, aber mehr muss man nicht wissen. Ich denke, ich hoffe, dass sich das Drama mitteilt." - So ließ sich der in Sachen Literaturoper äußerst erfahrene Komponist im Zusammenhang mit dem am 7. Oktober 2006 in Frankfurt/M. uraufgeführten Bühnenwerk vernehmen, solchermaßen andeutend, dass es sich weniger um die Musikalisierung einer philosophischen Idee, sondern in erster Linie um ein theatralisches Ereignis handelt.

 

Wie sehr ihm dieses Vorhaben gelungen ist, davon konnte sich das Publikum auch in der Kölner Oper, Koproduzent für dieses Auftragswerk, überzeugen. Natürlich bedeutet Glanerts Oper, vor allem für den traditionsgebundenen Hörer, alles andere als einen Spaziergang, zumal, dem düsteren Sujet entsprechend, scharfe Dissonanzen und abrupte Wendungen das Klangbild bestimmen. Andererseits weiß der Komponist, musikalische Tradition und Moderne verbindend, seine Geschichte nach fast altmeisterlicher Manier wie aus einem Guss zu erzählen und dabei das Melodisch-Gestische überzeugend herauszuarbeiten. Dass er dabei an manchen "schönen Stellen" seinem Vorbild Maurice Ravel, aber auch dem Richard Strauss der "Salome" überraschend nahe kommt, tat ein Übriges, um der Produktion jenen enthusiastischen Beifall einzutragen, mit der sie bei der Kölner Premiere am 30. November 2006 bedacht wurde.

 

Großen Anteil an diesem Erfolg hatte naturgemäß Dirigent Markus Stenz, der am Pult des Gürzenich-Orchesters zum musikalischen Star der Produktion avancierte und dabei demonstrierte, wie von innen heraus zwingend sich neue Musik abseits aller vordergründigen Reizeffekte entwickeln lässt. Auf der Bühne agierte ein durchweg fast glänzendes Ensemble, allen voran der Bariton Ashley Holland, der in der Riesenpartie des Caligula oft genug bis an die Grenze des sängerisch überhaupt Machbaren vorstieß. Dass die Oper musikalisch so gut zur Geltung kommt, verdankt sie nicht zuletzt der soliden, stets um die Konzentration aufs Wesentliche bemühten Regie Christian Pades, die sich (im sparsamen Bühnenbild Alexander Lintls) all jener gefälligen Mätzchen enthält, die einem beim "skandalösen" Inhalt der Caligula-Story ja durchaus in den Sinn kommen könnten. - Erst durch solchen Verzicht auf den vorschnellen Zugriff und den schillernden Effekt wird es überhaupt möglich, dem Wesen jenes so verzweifelt monomanischen Caligula auf die Spur zu kommen, von dem Glanerts Oper berichtet: "Wir können es nur langsam hervorlocken, indem wir es uns erzählen lassen", so meinte Eugen Drewermann in seinem bewegenden Vortrag anlässlich der Kölner Aufführung, "alle Wahrheit gestaltet sich als Teil eines Dialogs, den Caligula gerade verweigert. Er redet mit niemandem, er ist der permanente sadistisch aggressive Monolog. Selbst seine Gebete sind Ouvertüren der Einsamkeit."

 
Premiere: 30. November 2006

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