Zu Beginn des Stückes liegt der Stoff des Zirkuszeltes am Boden. Ein verzweifelter Arbeitsloser legt sich in Ketten und versucht, sich erfolglos als Arbeitswilliger anzudienen. Wie ein Hund wird er verjagt. Nach diesem Bezug zur realen Welt wird die Choreographie poetischer, mit zauberhaften Einzelauftritten und großen Gruppen¬choreographien der elf Tänzer, zunächst zu einer musikalisch elektronisch übertünchten Mischung zwischen Anklängen von Ravels Bolero und Gershwin, dann heiter beschwingt zum Kaiserwalzer von Strauß. Das schwungvolle Geschehen wird unterbrochen von einem überaus poetischen Bild: zu Meeresrauschen erhebt sich das Zirkuszelt langsam zu einer anwachsenden Welle bis es turmhoch braust. Mit teils märchenhaften Elementen und typisierten Figuren in farbenfrohen Kostümen gewinnt "Circus" einen erzählerischen Gestus mit Anklängen an die japanische Tanzform des Butoh, so z.B. in der Figur des Todes. Eine runde, heitere und bezaubernde Choreographie, die auch beim Publikum begeisterten Anklang fand.
Das zweite, 25minütige Stück des Abends "I am aroused" des Künstlerkollektivs Baby-Q unter der Choreografie von Yoko Higashino stand in deutlichem Kontrast zu "Circus". Die Tänzer treten in wie nass wirkenden Kostümen zusammen mit einem gesichtslosen rot-schwarzen Puschelwesen auf. In abstrakten Bildern zwischen Traum und Wirklichkeit versucht die Choreographin Formen der Sexualität zu erforschen. Unterbrochen wird das tänzerische Geschehen von einem Video mit verschiedenen, sich paarenden Insekten, begleitet durch laute Brunstschreie dieser Insekten.
Das letzte, ebenfalls 25minütige Stück "Dead 1" der Compagnie Ko Murobushi/Ko&Edge –Co. unter der Choreografie von Ko Murobushi beginnt mit einem "stillen Bild" zu lautstarker Musik der 70er Jahre. Drei, durch die Lichtbestrahlung blechern wirkende, durchtrainierte Körper verharren fast unbeweglich in der Form der Kerze, die Köpfe sind für das Publikum nicht zu sehen, die Arme sind seitlich weit abgespreizt. Auch als die Musik ganz aufhört, verharren die Drei minutenlang in dieser Stellung. Die Köperformen lassen sich als kaputte Roboter, Elektronikmüll, oder aber auch als Insekten wahrnehmen. Ganz langsam kommt Bewegung in die Figuren, sie lösen sich allmählich aus ihrer festgefrorenen Haltung. Zu Canteloubes Musik "Bailèro" aus den Chants d'Auvergne versuchen sie unbeholfen tastend Halt auf zwei Füßen zu finden und sich zu bewegen, immer wieder scheitern sie, fallen um und versuchen es erneut. Assoziationen von Geburt und Tod oder auch der Entwicklung des Menschen mit den ersten Gehversuchen als Zweibeiner stellen sich ein. Eindringlich und ausdrucksstark begeisterte diese Choreographie das Publikum in besonderem Maße.
So unterschiedlich diese drei Choreographien auch sind, allen gemeinsam ist die Auseinandersetzung mit der Tradition des Butoh, für die sie jeweils eine eigene Anverwandlung und Belebung fanden. Ein eindrucksvoller Abend.
"Circus": Künstlerische Leitung: Shinji Nakamura; Konzept, Choreografie: Mako Kawano; Tanz: Sachiko Araki, Tomomi Aramaki, Mako Kawano, Satoshi Nakagawa, Suguru Nishikawa, Naomi Mirian, Norie Tezuka, Ravioli Tsuchiya, Jinichiro Sumiyoshi, Kazuna Usami, Taishi Yomogisawa; Bühne: Uno-Man; Kostüme: Konomi Takahashi; Licht: Shinya Isono; Sound: Yasuo Kawata.
"I am aroused": Künstlerische Leitung, Choreografie: Yoko Higashino; Leitung, Sound: Toshio Kajiwara; Visual Direction: Rokapenis; Tanz: Kenjiru-Bien, Pee, Kanatanak, Rika Yokoya, Daiji Meguro, Norihito Ishii, Yoko Higashino
"Dead 1": Choreografie: Ko Murobushi; Tanz: Teita Iwabuchi, Daiji Meguro, Yukio Suzuki, Licht: Mika Sakaki; Sound: Yasuo Kawata; Technischer Leitung: Lang Craighill