Stummfilm, Radio, Kabarett, Revue, Modetänze, Jazz, episches Theater, neue Tendenzen der bildenden Künste, aber auch Gesellschaftskritik finden Nachhall in Karl Amadeus Hartmanns 1929-1930 komponiertem und von Erich Bormann librettiertem "Wachsfigurenkabinett". Es sind Momentaufnahmen des Lebens der 1920er Jahre. Die fünf kleinen Opern, überwiegend nur als Skizzen erhalten, wurden von Günter Bialas, Hans Werner Henze und Wilfried Hiller vervollständigt und gelangten erst posthum 1988 in München zur Uraufführung. Jetzt wurden sie im Maxhaus vom Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein aufgeführt.
In der "Witwe von Ephesus" wird ein Mann gehenkt, weil er arbeitslos ist. Er will lieber leben, die verwitwete Friedhofsbesucherin lieber sterben. Beide tun sich zusammen, und um keinen Verdacht beim Wächter zu erregen, baumelt statt des Genhenkten der tote Gatte am Galgen.
Ein Reicher schläft in "Der Mann, der vom Tode auferstand". Er träumt, dass Revolutionäre sein Geld fordern und ihn erschießen wollen. Da verkündet ein Radiosprecher das Ende der Übertragung einer Revolutionsoper, und ihm wird bewusst, dass er nur geträumt hat. Als jedoch eine Hupe ertönt, glaubt er dennoch, dass Kommunisten vor seinem Hause seien. Es ist jedoch nur seine Frau, die den Wohnungsschlüssel vergessen hatte, Einlass begehrt und so auf sich aufmerksam machen will.
Eine Collage von einzelnen Szenen, die wie vermischte Zeitungsnachrichten von Amerika zwischen Begeisterung und Kritik erzählen, ist "Chaplin - Ford - Trott".
In "Fürwahr...?" wollen zwei Betrunkene ins selbe Haus. Jeder hält den andern für einen Einbrecher. Sie streiten sich. Da sie den gleichen Namen tragen, wird ein Polizist hinzugezogen. Die Ehefrau soll das Rastel lösen. Es stellt sich heraus, dass sie Vater und Sohn sind.
"Leben und Sterben des Heiligen Teufels" erzählt die Legende vom Mönch Rasputin.
Zwischen makaber, grotesk, kurios und komisch changieren diese fünf thematisch unterschiedlichen Geschichten und machen die Absurdität des Lebens deutlich. Sie erzählen von Ängsten und dem Alltagsleben kleiner und großer Leute, parodieren sie und hinterfragen sie satirisch. Aber nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch finden verschiedene Stile wie die populäre Tanzmusik der zwanziger Jahre, Stummfilmkompositionen, Jazz und Avantgarde in einer Kammerbesetzung mit Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Harmonium und Klavier in einem schlichten, sachlichen Stil zusammen.
Mechthild Hoersch hat diese Rarität für die Deutsche Oper am Rhein im Lichthof des Maxhauses intelligent, liebevoll und beeindruckend in Szene gesetzt. Die Sängerinnen und Sänger des Opernstudios sind einheitlich in Jeanshose und schwarzem Hemd gekleidet, geschminkt nach der Ästhetik des Stummfilms der 1920er Jahre, also dramatisch eindrucksvoll, jedoch nur halbseitig, auch hier das Grotesk-Komische aufnehmend und ein wenig an Charly Chaplins Outfit erinnernd. Videoprojektionen greifen das Collagehafte der Opern auf, besonders meisterhaft in der Kurzoper "Fürwahr", in der die zehn Fenster des Lichthofes anfangen, sich zu verschieben, so wie sich die räumliche Wahrnehmung der betrunkenen beiden Protagonisten verschoben hat.
Fürwahr ein zugleich unterhaltsames und anspruchsvolles Kleinod, dem man mehr Publikumsaufmerksamkeit wünschen würde, zumal wenn es so ansprechend und überzeugend in einem hinreißenden Ambiente zur Aufführung gelangt. Bleibt zu hoffen, dass die Rheinoper mehr solcher Entdeckungen wagt.
WACHSFIGURENKABINETT von Karl Amadeus Hartmann
Fünf kleine Opern, Libretti von Erich Bormann
In deutscher Sprache
Musikalische Leitung: Ville Enckelmann
Inszenierung: Mechthild Hoersch
Videoinstallation und Bühne: Constantin Wallhäuser
Kostüme: Inga Gürle
Dramaturgie: Bernhard F. Loges
Sängerinnen: Luiza Fatyol, Hagar Sharvit, Jessica Stavros, Aïsha Tümmler
Sänger: Attila Fodre, Evgenii Nagovitcyn, Paul Stefan Onaga, Felix Rathgeber
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
Premiere 05. April 2014