Regierte Recht, so läget Ihr vor mir im Staube jetzt, denn ich bin Euer König. Mit diesen Worten endet eine der explosivsten Szenen der klassischen Dramenliteratur, die berühmte Szene zwischen Englands Königin Elisabeth I und der schottischen Königin Maria Stuart in Friedrich Schillers Maria Stuart aus dem Jahre 1800. Die die Worte spricht, Maria Stuart, führt mit dieser Beleidigung endgültig eine Entscheidung herbei, die insgeheim bereits seit langem getroffen ist: ihr Kopf soll fallen. Ihre Cousine zweiten Grades Elisabeth I. fürchtet Marias möglichen Anspruch auf den englischen Thron und hält sie bereits 18 Jahre in Gefangenschaft. Sie bezichtigt sie des Hochverrats, zögert aber dennoch, die Konkurrentin hinrichten zu lassen. Zu groß ist die Gefahr, aus der beliebten Schottin eine Märtyrerin zu machen, zu groß noch immer deren (katholische) Anhängerschaft.
Das Ende der Maria Stuart ist bekannt – nach 18 Jahren Kerkerhaft wird sie wegen Hochverrats auf Schloss Fotheringhay enthauptet. Ihrer Ausstrahlung gewiss findet sie kurz vor ihrem Tod die Worte „In meinem Ende liegt mein Anfang“. Und sie wird Recht behalten: In ihrem legendenumwobenen Leben und tragischen Tod liegt der Schlüssel zu einer der imposantesten „Karrieren“ in der Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte der nachfolgenden Jahrhunderte. Vielen Deutungen zugrunde liegt freilich Friedrich Schiller. Seine Dramatisierung eines historischen Grundkonflikts – das berühmte Zusammentreffen ist seine Erfindung, in Wahrheit haben sich die beiden Königinnen nie gesehen! – verbindet Staatsintrige mit psychologisch genau gezeichnetem Seelendrama.
Auch Gaetano Donizettis „Tragedia lirica“ Maria Stuarda beruht auf Schiller. Mithilfe des erst 17-jährigen Librettisten Giuseppe Bardari macht der Komponist aus dem großdimensionierten Trauerspiel ein intimes Kammerspiel. Verlagert wird der Schwerpunkt der Tragödie auf das Verhältnis zweier sehr gegensätzlicher Frauen. Bardari verschmilzt Schillers männliche Hauptfiguren Mortimer und Leicester zu einer einzigen und gibt den rivalisierenden Frauen mit Leicester einen erotischen Bezugspunkt. Leicester wird zur heldenmütig-tragischen Figur, deren aus letztem Rettungswunsch für Maria herbeigeführte und als Aussöhnung gedachte Konfrontation der beiden Frauen die endgültige – letale – Entscheidung bringt. Donizetti und sein Librettist interessieren sich für Maria Stuart und Elisabeth I. als liebende Frauen, deren Emotionalität im entscheidenden Moment jede Selbstbeherrschung zum Wanken bringt und schließlich eskaliert. Hier steht nicht in erster Linie Psychologie, sondern vor allem die musikalische Emotion, die große, „fliegende“ Gesangslinie im Vordergrund – mit beiden Protagonistinnen hat Donizetti zwei der eindrucksvollsten Partien des Belcanto-Repertoires geschaffen.
Maria Stuarda gehört neben Anna Bolena (1830) und Roberto Devereux (1837) zu Donizettis Königinnen-Trilogie. Die Oper feierte 1835 in Mailand ihre Uraufführung, geriet durch unglückliche Umstände jedoch bald in Vergessenheit und wird erst seit den 1960er-Jahren wieder vermehrt gespielt.
Dass sich eine szenische Aufführung dieses Belcanto-Juwels lohnt – diesen Beweis möchten mit der Linzer Erstaufführung von Maria Stuarda Operndirektor und Chefdirigent des Bruckner Orchesters Dennis Russell Davies und Regisseur Olivier Tambosi antreten. Tambosi untersucht in seiner Inszenierung die – bei allem Gegensatz - eigenartige Zwillingshaftigkeit von Maria und Elisabetta. Denn ihre wechselseitige Fixierung drängt eine Frage auf – sind die beiden verfeindeten Frauen nicht vielleicht doch ähnlicher als man zunächst annehmen mag? Was unterscheidet beide Frauen voneinander, oder sind sie nicht vielmehr wie zwei Seiten einer Medaille?
Julia Zirkler
Libretto von Giuseppe Bardari
nach Friedrich Schillers Trauerspiel Maria Stuart
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung Dennis Russell Davies /
Daniel Linton-France
Inszenierung Olivier Tambosi
Bühne Bernhard Rehn
Kostüme Carla Caminati
Chorleitung Georg Leopold
Dramaturgie Julia Zirkler
Maria Stuarda, Königin von Schottland Christiane Boesiger /Mari Moriya
Elisabetta I, Königin von England Katerina Hebelkova /Karen Robertson
Roberto, Graf von Leicester Jacques le Roux
Giorgio Talbot Seho Chang
Lord Guglielmo Cecil Martin Achrainer
Anna Kennedy Danuta Moskalik / Margret Jung Kim
Ein Fremder Martin Vraný / Gabriel Wanka
Statisterie des Landestheaters Linz
Chor des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz