ich war zur Buchmesse in Leipzig und ergatterte am 22. März die letzte Karte in der berühmten "Leipziger Pfeffermühle" für das Programm "Entwischen impossible".
Eine tolles Kabarett mit Texten von Michael Bootz, Klaus Dannegger und Hans-Günther Pölitz.
Die drei Agierenden Ute Loeck, Roland Kurzweg und Marco Schiedt sprechen, singen und spielen mit hoher Präzision. Sie treffen immer den richtigen Ton, sind nie zu laut, übertreiben nie über die Schmerzgrenze und servieren einen satirischen Leckerbissen, der den verwöhntesten Kabarettgourmet begeistern muss.
Die Texte sind prägnant und scharf. Die ach so unzulänglichen Politiker, der ganze tägliche Wahnsinn, Glück und Elend in der BRD werden geistreich und witzig aufs Korn genommen. Darüber hinaus lernt der Besucher aus den Alten Bundesländern an einem Abend mehr über die Stimmungslage der sogenannten Neuen als sonst in vielen Tagen. Wenn hier die herrschenden Zustände kritisiert werden, dann aus dem Blickwinkel der Hinzugekommenen mit ihren ganz spezifischen Problemen, ihren oft enttäuschten Hoffnungen, ihrer Ungeduld, ihrem Kampf um gleiche Chancen und um eine Lebenswelt, in der sie sich über zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des DDR-Staates immer noch nicht ganz angekommen und angenommen fühlen.
Entwischen ist impossible, so ihr Fazit am Schluss. Fluchtversuche aus der neuen Gemeinschaft bringen nichts, dableiben und kritisch-kreativ mitarbeiten ist schlussendlich die Devise. Die Inszenierung auf der Minibühne lief temperamentvoll und präzise ab. Es war herrlich. Ich hätte noch stundenlang zusehen können und war richtig traurig, als es zuende war.
Den nächsten Abend verbrachte ich im Schauspielhaus Leipzig. Dieses wird ab 2. April umgebaut und erst im September in neuer Pracht wieder eröffnet. "Maria Stuart" von Schiller, die am 26. Oktober 2002 Premiere haben wird, wurde deshalb jetzt schon fast fertiggestellt, eine Schlussprobe am 23. März öffentlich dargeboten.
Auch dieser Abend begeisterte mich, das sei vorab gesagt. Schillers grossartige Tragödie handelt von den beiden Königinnen Elisabeth und Maria, die einander die Macht über das englischsprachige Herrschaftsgebiet streitig machen, weshalb die eine die andere gefangen nehmen und schliesslich töten lässt, worüber das staatliche Gleichgewicht vorübergehend ins Wanken gerät. Eines der wenigen Stücke aus dem traditionellen Repertoire, in dem Frauen die dominanten Personen sind und jedes traditionelle Frauenbild von Unterwerfung unter die männlichen Machtprizipien sprengen.
Deshalb war ich besonders darauf gespannt, hier die Inszenierung einer jungen Regisseurin, Karin Henkel, zu erleben und zu beobachten, wie eine Frau dieses Frauenstück eines Mannes bewältigt. In der Tat gewann Karin Henkel, von der man gewiss noch viel hören wird, dem Stück ganz neue Seiten ab. Die Weiblichkeit der beiden Herrscherinnen wird zum zentralen Thema, sie ist exzessiv und umfasssend. Die Gefühlswelt und Vernunft durchdringen sich, die Sinnlichkeit durchwuchert das Machtstreben, Intelligenz und Angst laufen parallel, die verschiedesten Eigenschaften wirken unverhohlen ineinander, die beiden sind weibliche menschliche Wesen im vollständigsten Sinn des Wortes. Noch im erbittertsten Kampf gegeneinander sind sie irgendwie auch Schwestern im Ringen um den ersten Platz in der von Männern bestimmten Staatsgesellschaft. Ein eruptives Spiel mit überzeugenden Schauspielern. Vor allem Constanze Becker als Elisabeth und Liv-Juliane Barine als Maria spielen zwei wahre Vulkane in ihren verwegenen Königinnenrollen.
Die Aufmachung der Vorstellung bewegt sich geradezu streng im modernistischen Formenkanon, der sich nachgerade aus vielen heutigen Klassikerinszenierungen herausgebildet hat. Die Frauen tragen hautenge Glanzklamotten und Schuhe mit wahnsinnig hohen Bleistiftabsätzen, alles wie von Andy Warhol oder Tom Wesselman popartig entworfen. Sie zeigen ihre Körper und spielen ihre Reize aus. Das Bühnenbild ist dunkel, mit Metallplattenwänden, scharfen Leuchten, durchsichtigen Folien, fahrbaren Bürostühlen, Klavier und grossen Aschenbechern auf Ständern. Dazu natürlich Monitore mit Videosequenzen, die schöne Hintergrundbilder ausstrahlen. Alles schon oft in Klassikerinszenierungen heutiger Machart verwendet. Nicht zu vergessen das Wasserbecken in der Bühnenmitte. Ich weiss nicht, wie viele Darsteller ich schon in Klassikervorstellungen planschen und danach ausgiebig habe tropfen sehen. Jedenfalls sehr viele. Nur die obligate Selbstbefriedigungsszene, die noch vor zwei Jahren in Düsseldorf in "Maria Stuart" dazugehörte, fehlte diesmal.
Solche Modernismen können ärgerlich machen, wenn sie nicht überzeugend mit dem Stück verwoben sind. In dieser Inszenierung passt auf geheimnisvolle Weise alles zusammen, das Alte und das Moderne, die getragene Sprache und die nervös-heutige Spielweise, es fügt sich zu einem neuen Ganzen, das in sich überzeugend ist. Modernes Theater in Hochform.
Ein Besuch in Leipzig sei dringend empfohlen!
Kabarett und Schauspiel in Leipzig im März 2002, zwei echte Ereinisse