Welch ein Wow-Effekt, als sich der Bühnenvorhang hebt: er gibt den Blick frei auf beeindruckend meterhoch gestapelte graue Mehlsäcke, mehr benötigt es nicht um eine Mühle zu bezeichnen. Es ist die Mühle, in der der Waisenjunge Krabat drei Jahre seines Lebens zubringen wird. Hinter dem Müller verbirgt sich jedoch ein Zauberer, der ihn nicht nur zum Gesellen ausbilden, sondern auch in die Kunst der Magie einweisen wird. Der Meister hat einen Pakt mit dem Gevatter geschlossen, jedes Jahr wird ihm ein Geselle geopfert. Dann sind es nur noch 11 Gesellen und bis sich die Zahl wieder auf 12 erhöht hat, steht die Mühle still.
Eindrucksvoll wird die schwere Arbeit des Säckeschleppens thematisiert, die zudem durch den ohrenbetäubenden Lärm des gehenden Mühlwerks untermalt wird. Diese Mühlenmusik wurde eigens von Christoph Kirschfink mit Geräuschen der Mäulesmühle für dies Stück kreiert.
Aus dem Bann des Meisters kann sich nur lösen, wer ein Mädchen findet, dass für ihn spricht und ein Rätsel löst. Tonda hat das erfahren. Demis Volpi verlegt seine Erzählung in die Gegenwart und zeigt in einer Schlüsselszene, wie der Meister sich Tondas Geliebter Worschula bemächtigt und sie in den Wahnsinn treibt.
Als Gegenfigur zum Meister ist Pumphutt konzipiert, ein ebenso mächtiger Zauberer, jedoch entschieden heiterer. In einem gemeinsamen Machtkampf verwandeln sie sich nicht in Märchengestalten, sondern in Samurai-und Comicfiguren, wobei Pumphutt und nicht der Meister von den Gesellen angefeuert wird. Nach dem verlorenen Kampf lässt dieser seine Wut an den Gesellen aus. Und immer wieder einmal verwandelt er sie Raben.
Der Gevatter, der ja eigentlich der Teufel ist und an seinem Hut eine rote Hahnenfeder trägt, wird von Volpi als Flamme dargestellt. Diese Flamme ist ein in ein enges, rotes Kleid gekleideter, verführerischer Vamp mit ultralangen, spitzen Fingernägeln, lasziven Bewegungen, gebieterischen Gesten und beeindruckender Präsenz. Ein wahrhaft grandioser Auftritt!
Der Meister möchte sein Amt an Krabat übergeben, von Volpi symbolisch angedeutet mit der Übergabe seines Mantels an Krabat. Dieser lehnt jedoch ab, denn er hat das Unheilvolle der Magie erkannt. Er hat in den Jahren in der Mühle zwei seiner Freunde verloren, hat das Leid der Wortschula erlebt, Pressionen und Unfreiheit erfahren.
Im Kontrast zur dunklen Mühle stehen die heiteren Szenen mit den Dorfmädchen. Dazu fällt ein bemalter Vorhang mit idyllischer grüner Landschaft aus dem Schnürboden, und ätherisch gekleidete Tänzerinnen bewegen sich zu dem Lied „Die Gedanken sind frei“. Die Gedanken sind zwar frei, den Namen der Bevorzugten sollte der Meister dennoch nicht erfahren. Als Krabat sich in die Kantorka verguckt, hält er sich auch an diese Regel. Diese ist bereit, sich für ihn einzusetzen und seine Freigabe zu verlangen. In einer dramatischen Szene gelingt es ihr, die Prüfung zu bestehen. Der Meister ist vernichtet, der Zauberbann gebrochen, die Liebe hat gesiegt. Alle Gesellen sind frei, haben aber ihre Zauberkraft verloren. Sie sind heimatlos und gehen in eine ungewisse Zukunft, was Demis Volpi in einem beeindruckend melancholischem Schlussbild zeigt, wenn die Gesellen über die zusammengekrachten Mehlsäcke in eine graue Landschaft verschwinden.
Demis Volpi findet starke Bilder für die Umsetzung von Preußlers Roman in Tanz. Der sich dumm stellende Juro und der lauschende und denunzierende Lyschko finden nicht ganz die Aufmerksamkeit in der Umsetzung wie die andern Figuren des Romans, was aber zu verschmerzen ist. Ihm ist es gelungen, die Atmosphäre des Romans einzufangen und mit wirkmächtigen Bildern auszudrücken. Die dazu ausgewählte zeitgenössische Musik von Pēteris Vasks, Philip Glass und Krzysztof Penderecki trug entscheidend zum stimmigen Gesamteindruck bei, kongenial von den Düsseldorfer Symphonikern vorgetragen. Das Ensemble des Balletts am Rhein zeigte sich von seiner besten Seite und wurde deshalb vom Publikum zu Recht mit stürmischer Begeisterung gewürdigt.
Choreographie: Demis Volpi
Musik: Pēteris Vasks, Philip Glass, Krzysztof Penderecki
Musikalische Leitung: Katharina Müllner
Bühne und Kostüme: Katharina Schlipf
Libretto: Vivien Arnold
Herr Gevatter: Lara Delfino
Der Meister: Damián Torío
Krabat: Miquel Martínez Pedro
Die Kantorka: Emilia Peredo Aguirre
Tonda: Daniele Bonelli
Worschula: Doris Becker
Pumphutt: Charlotte Kragh
Juro: Julio Morel
Merten: Orazio Di Bella
Michal: Eric White
Witko: Jack Bruce
Lobosch: Evan L'Hirondelle
Lyschko: Niklas Jendrics
Weitere Gesellen:
Kauan Soares, Joaquin Angelucci, Andrea Tozza, Yoav Bosidan, Edvin Somai, Philip Handschin
Mädchen:
Courtney Skalnik, Rose Nougué-Cazenave, Lotte James, Imogen Walters, Norma Magalhães, Neshama Nashman, Clara Nougué-Cazenave, Marié Shimada, Camilla Agraso, Maria Luisa Castillo Yoshida, Virginia Segarra Vidal
Düsseldorfer Symphoniker
Premiere Do 10.11.2022, Opernhaus Düsseldorf