Schrilles Geschrei wie von hoch in der Luft fliegenden Schwalben ertönt, ein Video zeigt Körperformationen in kaleidoskopartiger Verzerrung, unterbrochen von Kreuzzeichen. Dann setzt ohrenbetäubendes Grillengezirpe ein. Der Frühling ist bereits vorbei. Langsam bewegt sich ein Tänzer aus dem Dunkel auf die Bühne, Strawinskys "Le Sacre du Printemps" erklingt.
Meryl Tankard bezieht sich in ihrer Interpretation der Inkunabel des 20. Jahrhunderts nicht auf die archaische Geschichte vom Frühlingsopfer, die Strawinsky zu seinem Werk angeregt hatte und die in unzähligen choreographischen Variationen nacherzählt wird. Sie hat sich von der Dynamik der Musik anregen lassen, ein Solo zu kreieren, das dem Tänzer Paul White fast Unmögliches abverlangt. Der Körper wird bis an seine Grenzen gefordert und erscheint mal manieristisch verformt, dann wieder in absoluter Expressivität. Vaslav Nijinskis Faun wird kurz zitiert. Auf seinen Abstieg in den Wahnsinn scheint sich auch diese Choreographie zu beziehen. Denn offenbar toben sich widerstrebende Kräfte im Körper aus, seelische Konflikte ausdrückend, die zwischen sexueller Obsession und Religiosität oszillieren.
Mit ungeheurer Intensität beherrscht Paul White, ein absoluter Ausnahme¬künstler, fast 50 Minuten lang die Bühne. Für diese atemberaubende Performance wurde er dann auch entsprechend enthusiastisch gefeiert.
Konzept, Künstlerische Leitung: Meryl Tankard
Tanz: Paul White
Bühnen- und Videodesign: Régis Lansac
Kostümdesign: Meryl Tankard
Lichtdesign: Damien Cooper, Matt Cox.
November 2013