
Die bei Gottfried Keller eher moralisierend erzählte Geschichte vom armen Schneiderlein, das große Sehnsüchte hegt, im Nachbarort für einen Grafen gehalten wird und schließlich brutal von der Menge enttarnt wird, zeigt Zemlinsky als einen Meister der Vielschichtigkeit und der Poesie. Mit autobiografischen Narrativen versetzt, ist Zemlinskys „Kleider machen Leute“ eine feinsinnige Allegorie auf den unsteten, auf der Suche seienden Künstler und nicht zuletzt eine große Erzählung über die alle Verzweiflung versöhnende Kraft der Liebe. Zugleich zeichnet die Oper ein messerscharfes Bild gesellschaftlicher Dynamiken von Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, in denen Projektionen und sublimierte Begierden sich in Missgunst und Hass wenden, wie Zemlinsky sie selbst später erfahren musste und wie sie heute wieder erschütternde Aktualität haben.
Die Oper erzählt dies alles voller Leichtigkeit, Witz, Charme und Einfühlungsvermögen – zudem in einer betörend farbenreichen, melodisch überfließenden Musik, in der sich kaleidoskopisch das ganze Spektrum der Musik der Jahrhundertwende bricht.
Mit dieser besonderen Oper, die mit ihren zahlreichen solistischen Partien zugleich ein großes Ensemble-Stück ist, legt der zum Ende der Spielzeit scheidende Intendant Stephan Märki seine Abschiedsinszenierung vor. Zum Produktionsteam gehören zahlreiche langjährige Weggefährten von Stephan Märki, wie das Bühnenbild-Künstlerduo Silvia Merlo & Ulf Stengl, die eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Regisseur Elmar Goerden verbindet und die regelmäßig auch an großen Häusern wie dem Thalia Theater Hamburg, dem Theater in der Josefstadt Wien oder bei den Salzburger Festspielen arbeiten. Die Kostüme von Elina Schnizler, Kostümdirektorin am Berliner Ensemble, versetzen die Handlung in die enge Spießbürgerlichkeit der 1960er Jahre. Als Co-Regisseurin und Choreografin wird, wie bereits in TRISTAN UND ISOLDE und CARMEN, Chris Comtesse die Inszenierung mitgestalten, in der auch der Chor eine tragende Rolle spielt.
In der Partie des Schneiders Wenzel Strapinski gibt der für seine Vielseitigkeit geschätzte österreichische Tenor Paul Schweinester sein Debüt in Cottbus. Ensemblemitglied Anne Martha Schuitemaker, die zuletzt am Staatstheater Cottbus als Ännchen in DER FREISCHÜTZ Erfolge feierte, gibt ihr Rollendebüt als Nettchen. Der Bariton Todd Boyce, mit dem Stephan Märki bereits in seiner Zeit als Intendant der Bühnen Bern zusammenarbeitete, wird als Böhni zu erleben sein.
Alexander Zemlinsky gehört zu den Komponisten, die keinen „großen” Namen haben, aber trotzdem zu den Großen ihrer Zeit gehören. 1871 in Wien geboren und wie Schönberg aufgewachsen auf der Wiener „Mazzeinsel“, dem jüdisch geprägten Bezirk Leopoldstadt, entwickelte er sich als Komponist, Pädagoge, Dirigent und Musikdirektor zu einer Schlüsselfigur der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts, wenngleich er selbst die Grenzen der Dur-Moll-Tonalität nie überschritten hat. Während sich die Musikwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch in die heiß umkämpften Lager der selbsternannten Zukunftsmusiker um Richard Wagner und der vom Wiener Kritiker Eduard Hanslick polemisch befeuerten, vermeintlich konservativen Brahmsianer spaltet, entdeckt Zemlinsky in seiner ungeheuer reichen musikalischen Sprache bereits ein neues Ausdruckspotential gerade in der Synthese der scheinbar unüberbrückbaren Antipoden. Er verschmilzt die chromatisch erweiterte Harmonik Wagners mit einer an Brahms geschulten Kunst der motivischen Entwicklung und legt so, gemeinsam mit Gustav Mahler und dem frühen Schönberg, die Basis für die im 20. Jahrhundert förmlich explodierende Formen- und Stilpluralität. Als Nachfolger von Größen wie Gustav Mahler, Karl Muck, Franz Schalk und Leo Blech trat Zemlinsky im September 1911, nach Positionen an der Wiener Hofoper unter der Direktion Gustav Mahlers und an der Wiener Volksoper, die Musikdirektion des Neuen Deutschen Theaters (NDT) in Prag an. 1927 wechselt Zemlinsky als Kapellmeister an die Berliner Kroll-Oper. 1938 emigriert er in die USA. Die neue Welt erreicht Zemlinsky als gebrochener Mann. Er erleidet mehrere Nervenzusammenbrüche und Schlaganfälle und stirbt am 15. März 1942.
Nach seinem Tod wird es für mehrere Jahrzehnte still um Zemlinskys Musik. Erst in den 70er Jahren kommt es durch die Aufführung und Einspielung seiner zentralen Werke sowie die Aufarbeitung seiner Biografie zu einer kleinen Renaissance dieses Komponisten, dessen Musik auf unvergleichliche Weise die Tendenzen eines halben Jahrhunderts in sich vereint.
Mannheimer” Fassung (1913)
Nach der Kritischen Erstausgabe von Antony Beaumont
Uraufführung
In deutscher Sprache
Musikalische Leitung
GMD Alexander Merzyn
Regie
Stephan Märki
Choreografie und Co-Regie
Chris Comtesse
Bühne, Video & Lichtgestaltung
Silvia Merlo, Ulf Stengl
Kostüm
Elina Schnizler
Dramaturgie
Julia Spinola
Mit Miko Abe, Todd Boyce, Sandra Bösel, Hardy Brachmann, Rahel Brede, Zela Corina Caliţa, Florin Emilian Caliţa, Gesine Forberger, John Ji, Dirk Kleinke, Aneta Kołton, Stefan Kulhawec, Thomas Mietk, Ye Yune Park, Alexey Sayapin, Ulrich Schneider, Nils Stäfe, Anne Martha Schuitemaker, Paul Schweinester, Alexander Trauth, Heiko Walter, Opernchor, Extrachor
Es spielt das Philharmonische Orchester des Staatstheater Cottbus.
Die nächsten Vorstellungen:
Di 28. Januar 2025, 19.30 Uhr
Fr 28. Februar 2025, 19.30 Uhr
Do 27. März 2025, 19.30 Uhr