Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
KLANGLICHE GESCHLOSSENHEIT -- Klavierabend Alexandre Kantorow im Ordenssaal bei den Ludwigsburger SchlossfestspielenKLANGLICHE GESCHLOSSENHEIT -- Klavierabend Alexandre Kantorow im Ordenssaal...KLANGLICHE...

KLANGLICHE GESCHLOSSENHEIT -- Klavierabend Alexandre Kantorow im Ordenssaal bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

am 4. Juli 2024

Die große pathetische Geste der h-Moll-Rhapsodie von Johannes Brahms fehlte in der zupackenden Interpretation des französischen Pianisten Alexandre Kantorow nicht. Doch das Klangbild war hier keineswegs übermäßig schroff oder herb. Das H-Dur-Trio mit seiner Alt-Wendung in der melodischen Linie geriet ausgesprochen ausdrucksstark. Die leise Coda mit ihrer Modulation nach H-Dur spielte Kantorow sehr einfühlsam.

 

Copyright: Sasha Gusov, Portrait Alexander Kantorow

Als Liszt-Interpret ersten Ranges erwies er sich dann bei der Transzendentale Etüde Nr. 12 "Chasse neige". Sie begeisterte aufgrund der leidenschaftlich betonten melodischen und poetischen Stimmung. Tremolofiguren, weite Sprünge und wilde chromatische Intervalle wurden bis zur äussersten Grenze ausgelotet.

Grandios gelang ihm auch "Vallee d'Obermann" von Franz Liszt als sechstes Stück aus "Annees de pelerinage: Premiere annee, Suisse" S 160. Hier wird der Geist Rousseaus musikalisch wiederentdeckt, es ist eine Schwärmerei von der Natur. Alexandre Kantorow interpretierte die massiven Akkorde und dynamisch abwechslungsreichen Modulationen sehr transparent und feinnervig. Auch die lyrischen Passagen blitzten geradezu sphärenhaft hervor.

Große Virtuosität kennzeichnete außerdem die eher selten zu hörende Rhapsodie op. 1 für Klavier von Bela Bartok. Die Bitonalität als Übereinanderreihung verschiedener tonaler Schichten machte sich bei dieser ausgefeilten Interpretation ebenfalls deutlich bemerkbar. Neben variablen klanglichen Mischungen und rasanter melodisch-rhythmischer Bewegung fielen auch die beschleunigenden Repetitionen auf. Das Tempo dieser magyarischen Rhythmen unterlag heftigen Schwankungen, die Alexandre Kantorow aber geschickt ausbalancierte. Man spürt in dieser spätromantischen Komposition aber auch die Beschäftigung mit "authentischer" Musik aus Bartoks Heimat Ungarn. Das Tempo glich oftmals dem Pulsschlag, Phrasierung und Dynamik gingen nahtlos ineinander über.

Die Wiedergabe der Sonate Nr. 1 in d-Moll op. 28 von Sergej Rachmaninow bestach durch präzise Herausarbeitung der thematischen Substanz, die hier zuweilen als eher schwach kritisiert wird. Diese erste Klaviersonate von Rachmaninow ist nicht so pompös und bombastisch-virtuos wie seine zweite, beeindruckte in der fast "orchestralen" Interpretation Alexandre Kantorows aber mit impulsiver Leuchtkraft und anschlagstechnischer Klarheit. Motive und Melodien blitzten wie funkelnde Diamanten hervor, besaßen auch einen tiefen klanglichen Zusammenhang. Den salonhaften Stil stellte Kantorow nicht heraus, legte auf die lyrischen Seitenthemen aber besonderen Wert. So vermittelte diese Wiedergabe das Bild überzeugender harmonischer Geschlossenheit. Das tonale Gerüst schien sich immer wieder neu aufzubauen.

Zuletzt interpretierte Alexandre Kantorow noch sehr konzentriert die Chaconne aus der Partita Nr. 2 in d-Moll von Johann Sebastian Bach in der "romantischen" Bearbeitung von Johannes Brahms. Diese monumentale Chaconne mit ihren 256 Takten behält auch bei Brahms' Bearbeitung den großen Zauber einer immer wieder neu variierten Harmonienfolge. Das zweimalige Erklingen des Basses ließ dann das achttaktige Thema aufblühen. Auch der klangfarbliche Reichtum des Moll-Dur-Wechsels machte sich immer wieder eindrucksvoll bemerkbar. Rhythmische Impulse und melodisches Singen standen hier beglückend im Mittelpunkt. Der figurative und melodische Einfallsreichtum trat immer wieder deutlich  hervor. Akkordbrechungen vermittelten eine eher schroffe Stimmung.

Begeisterter Schlussapplaus, "Bravo"-Rufe für Alexandre Kantorow, der 2019 im Alter von nur 22 Jahren den Grand Prix und die Goldmedaille beim renommierten internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewann.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 15 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

MIT SPHÄRENHAFTER LEICHTIGKEIT -- Klavierabend Elisabeth Leonskaja bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen

Die in Tiflis geborene Russin Elisabeth Leonskaja gehört seit Jahrzehnten zu den gefeierten Pianistinnen unserer Zeit. Mit ihrem Schubert-Abend überzeugte sie das Publikum im leider nicht voll…

Von: ALEXANDER WALTHER

RAP GEGEN RASSISMUS -- The LittmannSessions: Pop-Gala in der Staatsoper STUTTGART

Die visionäre Pop-Gala war auch in diesem Jahr wieder ein voller Erfolg. Präsentiert von der Staatsoper Stuttgart (Junge Oper) und dem Pop-Büro Stuttgart starteten die "Littmann-Sessions" nun in die…

Von: ALEXANDER WALTHER

VON STAR WARS BIS ZU HARRY POTTER -- Anne-Sophie Mutter bei den Schlossfestspielen LUDWIGSBURG

Zwar war der Schlosshof nicht ganz besetzt, doch es kamen viele Zuhörer zum Konzert "Across the Stars" mit Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter, die an diesem Abend zusammen mit dem glänzend disponierten…

Von: ALEXANDER WALTHER

ZAUBERREICH DES MÄRCHENS -- Klavierabend mit Alexander Gadjiev im Ordenssaal bei den Schlossfestspielen LUDWIGSBURG

Der Pianist Alexander Gadjiev ist am italienisch-slowenischen Grenzort Gorizia aufgewachsen und mehrfacher Preisträger (unter anderem beim berühmten Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau).…

Von: ALEXANDER WALTHER

NEUE KLANGLICHE MÖGLICHKEITEN -- Neue CD "Große Fuge" beim Label Berlin Classics

Seit mehr als 20 Jahren sind die beiden Wahl-Berliner Sivan Silver und Gil Garburg als Piano Duo Silver-Garburg erfolgreich, haben in mehr als 70 Ländern auf fünf verschiedenen Kontinenten Konzerte…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑