Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Im Weihnachtswunderland - "Der Nussknacker" von Demis Volpi und weiteren Choreograph*innen in der deutschen Oper am RheinIm Weihnachtswunderland - "Der Nussknacker" von Demis Volpi und weiteren...Im Weihnachtswunderland...

Im Weihnachtswunderland - "Der Nussknacker" von Demis Volpi und weiteren Choreograph*innen in der deutschen Oper am Rhein

November 2021

Heiliger Abend in einer großbürgerlichen Familie: Kinder spielen in einem Zimmer Gummitwist. Hinter der Tür zum Wohnzimmer tut sich was. Durch die Milchglasscheibe sieht man, wie ein Weihnachtsbaum aufgerichtet wird, Papiersterne werden angehängt, letzte Geschenke verpackt. Allmählich trudeln weitere Familienmitglieder ein, und endlich ist es soweit, die Bescherung kann beginnen. Fritz bekommt ein Fahrrad, Claras Patenonkel Drosselmeier schenkt ihr einen Nussknacker.

 

Copyright: Bernhard Weis

Vorfreude und trubeliges Feiern, die weihnachtliche Stimmung gibt Demis Volpi genau wieder. Liebevoll stattet er zudem die Protagonisten mit kleinen charakterlichen Eigenheiten aus, etwa die sich ärgernden Zwillingscousinen, den frechen Bruder, der sich etwas ungelenk auf seinem neuen Fahrrad bewegt, die strickende Großmutter, die alkoholliebende Tante Wirbelwind, die Naschkatze Tante Zuckermund. So wirkt der Ballettklassiker „Der Nussknacker“ von Peter Tschaikowsky lebendig, ist fern von jeglicher Betulichkeit.

Dann ist auch dieser Abend vorbei und alles geht nur Ruhe. Nur Clara schleicht sich noch einmal ins Wohnzimmer zu ihrem Nussknacker zurück. Und um Mitternacht erwacht  plötzlich der Nussknacker zum Leben, schwerfällig, wie es sich für ein hölzernes Wesen gehört und mit eckigen Bewegungen. Mäuse versuchen ihn zu stehlen, was Clara zu verhindern weiß. In Claras Fantasie - oder ist es gar ein Traum? – entsteht ein Schneegestöber, Drosselmeier gesellt sich dazu. Statt der ursprünglichen Divertissements mit den ethnischen Tänzen haben die jungen Choreographen und Choreographinnen (Wun Sze Chan, Michael Foster, Neshama Nashman, James Nix, Bahar Gökten und Yeliz Pazar), ganz konform mit den derzeitigen Kolonialismusdebatten, u.a. ein lustiges Cupcake-/Tortenballett, einen bezaubernden Tanz der Lichter und einen poetischen Blumentanz kreiert. Auch das Ende ist neuinterpretiert, denn der starre Nussknacker hat sich in einen smarten Jüngling entwickelt, der Clara den Hof macht, und der begeistert in die Familie aufgenommen wird. So war das Weihnachtsfest sozusagen der Wendepunkt für Claras Entwicklung vom Mädchen zu Frau.

Zum überzeugenden Gesamtbild des fröhlichen, poetischen Ballettes von Demis Volpi tragen auch das aufs Wesentliche beschränkte Bühnenbild und die fantasievollen Kostüme von Katharina Schlipf bei. Man darf also schwelgen. Alles ist sehr harmonisch, das Unheimliche, Unerklärliche wie in E.T.A. Hoffmanns Kunstmärchen ja vorhanden, kommt dagegen etwas zu kurz und der mechanische Instrumentenbauer Drosselmeier hätte auch etwas mysteriöser gezeichnet sein können.

Unter der musikalischen Leitung von Marie Jacquot musizierten die Düsseldorfer Symphoniker besonders feinfühlig und klangvoll. Für diese schwungvolle Neuinterpretation von Peter Tschaikowskys „Nussknacker“, die einfach gute Laune macht, gab es dann auch verdienten, stürmischen Applaus.

"Der Nussknacker" in der deutschen Oper am Rhein
Uraufführung am 24. Januar 2016 am Ballett Vlaanderen, Stadsschouwburg, Antwerpen.
Diese Produktion wurde für das Ballett Vlaanderen kreiert.

Choreographie: Demis Volpi, Wun Sze Chan, Michael Foster, Neshama Nashman, James Nix, Bahar Gökten und Yeliz Pazar (Nutrospektif)
Musik: Peter Iljitsch Tschaikowsky
Musikalische Leitung: Marie Jacquot
Bühne und Kostüm: Katharina Schlipf
Licht: Bonnie Beecher
Einstudierung: Damiano Pettenella, Brent Parolin
Dramaturgie: Maurice Lenhard
Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor
Düsseldorfer Symphoniker

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 16 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

GESPENSTER UND ATEMLOSE SPANNUNG -- "Falsche Schlange" von Alan Ayckbourn im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Eine Prodfuktion von Tournee-Theater Thespiskarren - Theater im Rathaus Essen. - In der subtilen Regie von Gerit Kling bekommt dieser Psycho-Thriller rasch scharfe Kontur. Annabel Chester kehrt nach…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUCH DIE BILDENDE KUNST IST PRÄSENT -- Ludwigsburger Schlossfestspiele 2025

Die Festspielzeit 2025 wird am Samstag, 31. Mai 2025 mit dem Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Joana Mallwitz im Forum am Schlosspark eröffnet. Neben Schuberts "Großer C-Dur-Sinfonie"…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINE SCHWINGUNGEN -- "Wege in die Gegenwart" - Gitarrenmusik des 20. und 21. Jahrhunderts im Kammermusiksaal der Musikhochschule STUTTGART

Gitarren-Musikstudenten der Klasse von Tillmann Reinbeck stellten sich im Kammermusiksaal der Musikhochschule vor. Der Abend begann mit "Quatre pieces breves" aus dem Jahre 1933 von Frank Martin. Das…

Von: ALEXANDER WALTHER

PEITSCHENDE RHYTHMEN -- Symphonieorchester unter Juraj Valcuha im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Ein sehr russisches Programm präsentierte das glänzend disponierte SWR Symphonieorchester unter der Leitung des slowakischen Dirigenten Juraj Valcuha diesmal in der Liederhalle. Zunächst erklang die…

Von: ALEXANDER WALTHER

VON HÄNDEL BIS MORALES -- Neue CD "Trumpet Consort" mit Matthias Höfs und Ensemble bei Berlin Classics erschienen

Der berühmte Trompeter Matthias Höfs versammelt für sein neues Album "Trumpet Consort" zwei Dutzend Trompeter und Trompeterinnen um sich - darunter auch Studierende seiner Trompetenklasse der…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑