Unter der temperamentvollen Leitung von Pablo Heras-Casado spielte das SWR Symphonieorchester zunächst 4 Dedicaces für Orchester von Luciano Berio. Raffinierte Rhythmen und schillernde Orchesterfarben mitsamt Trompetenfanfaren führten bei dieser Wiedergabe zu einem aufwühlenden Klangerlebnis, das den einzelnen Nummern "Fanfara", "Entrata", "Festum" und "Encore" eine elektrisierend-feurige Zündkraft verlieh. Die Möglichkeiten zur klanglichen Umgestaltung der Substanz und ihrer formalen Erweiterung wurden voll ausgelotet. Serielle Passagen und die räumliche Disposition von scheinbar unerschöpflichen Klangquellen besaßen hier etwas Atemloses, Aufwühlendes und Unberechenbares. So blieb die rasche und eruptive Ausbreitung des klanglichen Geschehens stets nachvollziehbar. Anklänge an "Notations" von Pierre Boulez blieben ebenfalls entfernt spürbar.
"Zum Ruhme Gottes" schrieb Strawinsky im Jahre 1930 die "Psalmen-Symphonie", deren Partitur dem Bostoner Symphonie-Orchester zum fünfzigjährigen Bestehen gewidmet ist. Hier konnte sich das SWR Vokalensemble zusammen mit dem exzellenten SWR Symphonieorchester in besonderer Weise profilieren. Den vierstimmigen Chor begleitet Strawinsky hier betont herb mit einem verstärkten Bläserorchester (ohne Klarinetten), dem Harfe, zwei Klaviere, Pauken und Trommel sowie von den Streichern nur Celli und Kontrabässe beigegeben sind. Pablo Heras-Casado machte die Wucht der instrumentalen Einleitung mit schroffen Akkordschlägen deutlich. Der Chor setzte mit einem Sekundthema in eindringlicher Weise ein. Das monotone Klangflehen steigerte sich, sank zurück und schwoll abermals an zu dem Ausbruch des "patres mei". Von den Worten "remitte mihi" behauptete sich die obige Wendung (jetzt in Tenor und Sopran) bis zum Satzende.
Ohne Pause schloss sich der zweite Teil an, den eine ernste Holzbläserfuge einleitete. Pablo Heras-Casado betonte die archaische Erhabenheit dieses Werkes sehr überzeugend. Äusserst kunstvoll entwickelten sich alle Chorsätze aus einem Thema, das um das Intervall der kleinen Terz und ihrer Umkehrung, der großen Sext, kreiste. Man nahm dieses Intervall bei dieser konzentrierten Interpretation überall wahr. Die einzelnen Abschnitte des Werkes wurden so imponierend zusammengeschweisst, Strawinsky erschien als absoluter Musiker. Im zweiten Abschnitt trat noch ein Chorthema als Träger der Doppelfuge hervor, die hier wuchtig aufragte. Feierlich wirkte der Ruf des "Laudate" - umhüllt von einem strahlenden C-Dur-Akkord im Orchester. Eine starr wiederkehrende Bassfigur von zwei Halbtonschritten bändigte zunächst den Schwung des Orchester-Allegro, der dann mit den Tönen des E-Dur-Akkords umso wilder hervorbrach. Der Chor stimmte dann in bewegender Klage mit einer Erinnerung an den ersten Satz des "Laudate" an. Geheimnisvoll wurde diese Melodie nach Dur gerückt - und plötzlich stockte ihr Fluss. Flüsternd mahnte der Chor "laudate dominum", dessen Rhythmus neue Strahlkraft offenbarte. Grandios wirkte zudem das fünftaktige "Alleluja". Das Chor-"Laudate" führte zurück zum Orchester-Allegro, das durch markige "Laudate"-Rufe des Chors immer mehr Schwungkraft gewann. Spannung und Energie verdichteten sich nach der melodischen Episode immer mehr, viermal kehrten die sechs Takte dieser Melodie wieder. Der Klang der Instrumente wuchs wie ein Glockenklang an.
Ein weiterer Höhepunkt dieses Konzertabends war dann die selten zu hörende "Erste Walpurgisnacht" für Soli, Chor und Orchester op. 60 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Gesangssolisten Sophie Harmsen (Sopran), Werner Güra (Tenor) und Florian Boesch (Bariton) gestalteten zusammen mit dem SWR Vokalensemble (Einstudierung: Frank Markowitsch) eine fieberhaft-eindringliche Interpretation dieser aufregenden Komposition nach einem Text von Goethe. Die kultische Handlung der Heiden auf dem Blocksberg und die hexenhafte Atmosphäre des Geschehens erfuhren hier eine bewegend-feurige Wiedergabe voller reizvoller dynamischer Kontraste. Charakteristische Klangfarben beschrieben wild und leidenschaftlich die fantastischen Ereignisse dieses unglaublichen Höllenspektakels. Bei der Ouverüre setzte sich der Durchbruch des Frühlings gegen ungestümes Wetter in eindrucksvoller Weise durch. Ein Hymnus in strahlend-homophonem Satz pries die Allmacht des "Allvaters". Anklänge an die Oratorien "Elias", "Paulus" oder an Mendelssohns zweite Sinfonie "Lobgesang" blieben hier nicht aus. Pablo Heras-Casado unterstrich mit dem glanzvoll muiszierenden SWR Symphonieorchester vor allem den Zauber der Naturromantik und die formale Eleganz des klanglichen Geschehens.
Begeisterter Schlussapplaus. Beim "Ausklang" musizierten Mitglieder des SWR Symphonieorchesters noch im Foyer hochvirtuos einen Ausschnitt aus Johann Sebastian Bachs "Goldberg-Variationen" sowie ein Duo in G-Dur für Bratsche und Geige von Wolfgang Amadeus Mozart.