Dies schrieb Veza Canetti 1939 in ihrem auch heute schmerzhaft aktuellen Roman Die Schildkröten, in dem sie vom Einmarsch Hitlers in Österreich, von Flucht und Diaspora, von der Vernichtung jüdischen Lebens erzählt. Ebenso wie Maria Lazar, die ihr Werk Die Eingeborenen von Maria Blut 1937 verfasste, wurde Veza Canetti als eine hellsichtige literarische Stimme erst spät wiederentdeckt.
Den Werken der beiden Frauen, die beide schockierende und berührende Zeugnisse menschlicher Würde in einer Zeit allgegenwärtiger Niedertracht schufen, widmet sich das Burgtheater im Jänner. Die Burgtheater-Schauspieler*innen Regina Fritsch und Markus Meyer lesen am 9. Jänner im Akademietheater aus Die Schildkröten. Das mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen ausgezeichnete Stück Die Eingeborenen von Maria Blut ist am 28. Dezember, sowie 14. und 26. Jänner zu sehen.
Auch George Taboris unsterbliche Farce Mein Kampf, die am 2. Jänner im Burgtheater zu sehen ist, beschäftigt sich mit der NS-Vergangenheit und erzählt mit gnadenlos schwarzem Humor von einer entstellten Welt.
Die einzelnen Produktionen:
Akademietheater
9. Jänner 2024, 20 Uhr
DIE SCHILDKRÖTEN
von Veza Canetti
es lesen Regina Fritsch und Markus Meyer
Veza Canettis weitsichtiger und gerade heute schmerzhaft aktueller Roman Die Schildkröten erzählt vom Einmarsch Hitlers in Österreich, von Flucht und Diaspora, von der Vernichtung jüdischen Lebens. Im Zentrum steht eine Welt, die dabei ist zusammenzubrechen. Burgtheater-Schauspieler*innen Regina Fritsch und Markus Meyer lesen am 9. Jänner im Akademietheater aus dem Werk, das ein schockierendes und berührendes Zeugnis menschlicher Würde in einer Zeit allgegenwärtiger Niedertracht ist.
Andreas Kain, ein stiller jüdischer Gelehrter und Dichter, lebt mit seiner Frau Eva in einer Villa am Rande von Wien. Als die Nazis 1938 Österreich besetzen, werden Wohnungen beschlagnahmt und Geschäfte geplündert, brennen Synagogen, werden Männer, Frauen und Kinder auf Lastwagen abtransportiert. Wie geduldige Schildkröten, die sich in ihren Panzer zurückziehen, versuchen die Bedrohten mit der Gefahr umzugehen. Angesichts der alltäglichen Schrecknisse planen die Eheleute Kain, mit einem heimlich gekauften Flugzeug zu fliehen. Die Schildkröten entstand kurz nach der Flucht von Veza und Elias Canetti nach England im Jahr 1939 und wurde erst 1999 erstmals veröffentlicht.
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Akademietheater
28. Dezember, 20 Uhr sowie 14. Jänner, 18 Uhr & 26. Jänner, 20 Uhr
DIE EINGEBORENEN VON MARIA BLUT
von Maria Lazar
Regie Lucia Bihler
Das idyllische Dorf Maria Blut mit seiner Wallfahrtskapelle liegt am Land, ein paar Zugstunden vor Wien. Die 1930er Jahre sind angebrochen, Dollfuß ist Bundeskanzler, und die Eingeborenen des „österreichischen Lourdes“ sind in Unruhe. Die vor dem Dorf gelegene Konservenfabrik hat schließen müssen. Der Unternehmer Schellbach versucht nun, die besorgte Bevölkerung dazu zu bewegen, in sein neues Produkt, die Raumkraft, zu investieren. Viele geben ihr letztes Erspartes dafür her. Als sich Schellbach jedoch mitten während des Volksfestes erschießt und seine Unternehmung scheitert, entwickelt sich in Maria Blut sofort eine ungeheure Dynamik: Die angeblich Schuldigen sind schnell ausgemacht – und für die wird es jetzt brandgefährlich.
Die Wiener Schriftstellerin Maria Lazar (1895–1948) gehört zu den hellsichtigsten literarischen Stimmen ihrer Epoche. In kurzen, packenden und sprachlich brillanten Szenen entwirft sie zwei Dutzend herrlich schräge Figuren, die am Vorabend des Nationalsozialismus zwischen Marienkult, Wunderglauben, Verschwörungstheorien und aufkommendem Ultranationalismus aufgerieben werden.
Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft musste Maria Lazar über Jahre im Exil leben und unter Pseudonymen veröffentlichen – ihr umfangreiches Werk wird erst jetzt wiederentdeckt. Die Eingeborenen von Maria Blut, 1937 in Bertolt Brechts Exilzeitschrift Das Wort teilabgedruckt, ist nach Der Henker in der Spielzeit 2019/20 die zweite Inszenierung eines Lazar-Textes im Akademietheater. Regie führt Lucia Bihler, die zuletzt Thomas Bernhards Die Jagdgesellschaft im Akademietheater auf die Bühne gebracht hat.
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Burgtheater
2. Jänner 2024, 20 Uhr
MEIN KAMPF
Farce von George Tabori
Regie Itay Tiran
George Tabori – Wiener Legende, Theatergenie, Kosmopolit – schuf mit der Farce Mein Kampf eines der wichtigsten Theaterstücke der 1980er Jahre. Tabori war einer der Ersten, der Adolf Hitler – knapp 50 Jahre nach Charlie Chaplins Der große Diktator – als Komödienfigur wiederentdeckte, und er trieb es bunt mit ihm: Als Landei aus Braunau am Inn, noch grün hinter den Ohren und doch schon gestochen vom Größenwahn, reist der junge Hitler zum ersten Mal in seinem Leben nach Wien – im Gepäck ein paar mittelprächtige Aquarelle, mit denen er sich an der Kunsthochschule zu bewerben gedenkt. Er kommt in einem Männerheim unter, wo er sich mit Koscher-Koch Lobkowitz und Buchhändler Shlomo Herzl ein Zimmer teilt. Die beiden Juden sind sich uneins. Während Lobkowitz den jungen Hitler kritisch beäugt, beginnt Herzl, sich väterlich um ihn zu kümmern …
Mehr als drei Jahrzehnte nach der Uraufführung im Akademietheater durch Tabori (1914–2007) selbst ist die legendäre Farce in einer Inszenierung von Itay Tiran im Burgtheater zu sehen.