William Hogarths berühmte Kupferstichserie aus den Jahren 1732/33 über die Abenteuer eines Wüstlings hat Igor Strawinsky zu seiner gleichnamigen Oper "The Rake's Progress" inspiriert. Hogarth ist dabei moralisch-satirisch, Strawinsky macht daraus eine Moritat in Mozart'scher Manier.
Größer könnte der Kontrast nicht sein: Im ersten Bild idyllisches Landleben, ein schlichtes, karges Holzhaus in gedämpften Farben, die Personen gruppiert wie in einem Edward Hopper-Gemälde, Familie Trulove aufrichtig und zurückhaltend. Im zweiten Bild grellbunte Farben, eine schicke, verruchte Großstadtbar voller exzentrischer Menschen. Und mit Kontrasten dieser Art geht es auch in den anderen Szenen weiter, das schicke Yuppie-Appartement im futuristischen Design wechselt mit einem Salon im britisch neureichen Stil.
So wie Strawinsky berühmte Opern parodiert, so bedient sich Regisseurin Sabine Hartmannshenn aus dem Fundus der Celebrities des 20. Jahrhunderts. Tom Rakewell gefällt sich bei seinem Barbesuch in der Saturday-Night-Fever Pose John Travoltas, in Nachahmung Dalíscher Events wird zum Dinner eine nackte Frau mit Hummern dekoriert serviert, Nick Shadow trägt eine Andy Warhol-Perücke. Bei der Auktion tritt ein fächerschlagendes Karl Lagerfeld Look-a-like auf und statt auf einem Medaillon wird das Bild der Heiratskandidatin auf einem Tablett eines bekannten Markenherstellers präsentiert. Sabine Hartmannshenn hat Strawinskys Faust-Geschichte überzeugend ins knallbunte 21. Jahrhundert transferiert. Wer käme schon auf die Idee, hinter all dem Event-Plunder einen teuflischen Plan zu vermuten? Jedenfalls sollte das zu denken geben...
Der Düsseldorfer "Rake's Progress" steckt voller schräger Einfälle und das Schöne daran ist, dass sie funktionieren. Die überkandidelte Türkenbaba, eine nervenaufreibende quengelnde Quasselstrippe, wird mit einer ins Maul gesteckten Banane ruhiggestellt. das wirkt nicht nur komisch, sondern auch traurig zugleich. Diese Mischung von komischen mit traurigen Situationen gibt es zuvor schon, als Anne Trulove vergeblich versucht, Tom in seinem Apartment zu besuchen, während unzählige kistenschleppende Dienstboten unbehelligt durch die Drehtür hetzen.
Die Geschichte vom verführten Naivling, der seine Seele dem Teufel verkauft, nur um ein verprasstes Leben zu führen, das ihn letztendlich langweilt, dafür seine wahre Liebe aufgibt, dem Teufel zwar entkommt, aber im Irrenhaus landet, wo er schließlich, zumindest in dieser Inszenierung, von Anne mittels Schlaftabletten erlöst wird, wird an der Deutschen Oper am Rhein mit Schwung umgesetzt. Anett Fritsch glänzt dabei mit reinem Sopran als frische Anne Trulove, die vom verliebten Teenager zur liebenden Frau mutiert. Jane Hentschel hat als Baba the Turk Mut zur Hässlichkeit. Matthias Klink als Tom Rakewell versteht es, seine Rolle kongenial durch Höhen und Tiefen zu führen, und Bo Skovhus als Nick Shadow ist schon teuflisch gut. Der Chor darf sich endlich einmal auf der Bühne austoben.
Die Düsseldorfer Symphoniker interpretierten Strawinskys Oper angenehm zurückhaltend. Das Publikum zeigte sich begeistert.
THE RAKE'S PROGRESS von Igor Strawinsky
Oper in drei Akten, Libretto von W. H. Auden und Chester Kallman
Tom Rakewell: Matthias Klink
Anne Trulove: Anett Fritsch
Nick Shadow: Bo Skovhus
Baba the Turk: Jane Henschel
Mother Goose: Bonita Hyman
Trulove: Sami Luttinen
Sellem: Bruce Rankin
Wärter des Irrenhauses: Volker Philippi
Nick Shadows Gehilfe: Harald Beutelstahl
Chor: Chor der Deutschen Oper am Rhein
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
Musikalische Leitung: Axel Kober
Inszenierung: Sabine Hartmannshenn
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Susana Mendoza
Licht und Video: Volker Weinhart
Chorleitung: Christoph Kurig
Dramaturgie: Anne do Paço