Mit über 220 Theaterstücken war August von Kotzebue Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts einer der produktivsten Theaterautoren. Seine Beliebtheit beim Publikum war ohnegleichen. So gut wie keine deutsche Bühne, die ihn nicht aufführte und auch international war er sehr erfolgreich. Zeitweilig bestritt er 25% des deutschen Bühnenrepertoires. Selbst Goethe inszenierte in Weimar 87 seiner Stücke mit insgesamt 600 Aufführungen. Dabei war Kotzebue durchaus nicht unumstritten. Die meisten seiner Dichterkollegen lehnten ihn rigoros ab. Kleist z.B. bezeichnete ihn als "alberne[n] Kauz" (Brief an Ulrike von Kleist, 14.3.1803).
Da Kotzebue in einem Pamphlet die Frühromantiker satirisch angriff, "in dem er inmitten einer alltäglichen Wirklichkeit einen gebildeten, herzlosen Jüngling in zusammenhanglos aneinandergereihten, schwer verständlichen und dadurch geschwollen wirkenden Zitaten aus Schriften Friedrich Schlegels sprechen läßt" (Benno von Wiese, S. 7), schlug August Wilhelm Schlegel, der Bruder Friedrichs, in einer Parodie zurück. "Hier wurde der Liebling des Publikums in einem Sturzbach von Sonetten, Epigrammen, Liedern, Romanzen, Oden und Terzinen bloßgestellt und verwundet" (v. Wiese, S. 7). Obwohl auch Immermann gegen Kotzebue satirisch vorging, führte er den Publikumsmagneten dennoch an seiner Düsseldorfer Bühne auf.
"Die Vorwürfe gegen Kotzebue blieben immer die gleichen: Plattheit, Frivolität, Sitten- und Standpunktlosigkeit. Den Siegeszug seiner vielen dramatischen Werke konnten sie nicht aufhalten. Wenig ließ er sich durch seine Kritiker anfechten und rühmte sich statt dessen, ein Stück in drei Tagen fertig schreiben zu können" (v. Wiese, S. 8).
Annette von Droste-Hülshoff war immerhin etwas milder gestimmt und besuchte die Aufführungen seiner Stücke häufig. Sie nannte sie eine "Legion kleiner Theaterpiecen" (Brief an Levin Schücking, 17.11.1842). Ihre Bemerkung in einem Brief an Jenny von Laßberg vom 29.1.1839, "Ich kann keine Theezirkel sehn, ohne an Kotzebues Respectable Gesellschaft zu denken", macht immerhin deutlich, wie beeindruckend seine Wirkung damals war. Kotzebues Stücke waren besonders beim weiblichen Publikum beliebt. So konstatiert Jürg Mathes (S. 540): "Das dankbarste Publikum gewinnt sich Kotzebue bei der Damenwelt, die sich sogar in der Mode von dem Stück beeinflussen lässt", denn "Menschenhaß und Reue" inspirierte dazu, sog. Eulaliahauben zu tragen. Und der Ort Krähwinkel aus seinem Stück "Die deutschen Kleinstädter" wurde zum "Inbegriff kleinstädtischer Enge und Beschränktheit" Mathes, S. 590) und auch von Nestroy und Heinrich Heine verwendet.
Was machte ihn zum meist gespieltesten Theaterautor seiner Zeit? Die Beliebtheit resultierte daraus, dass er die Wunschvorstellungen des Publikums bediente und sowohl Adel als auch Bürgertum für sich zu gewinnen vermochte. Man fand sich in den Genreschilderungen wieder. Die Verwicklungen der Handlung und der Wortwitz entsprachen dem aus der Trivialliteratur bekannten Ablauf. So spielen "Die deutschen Kleinstädter" z.B. mit altbekannten Klischees, mit parodistisch angelegten Figuren: Eine junge Frau soll mit einem ungeliebten Mann verheiratet werden. Ihren Wunschkandidaten, den sie bei einem Aufenthalt in der Residenzstadt kennen gelernt hatte, erwartet sie sehnsüchtig in ihrem Heimatort Krähwinkel. Durch eine Notlüge - dass sie nämlich ein Bild ihres Liebsten als Bildnis des Königs ausgibt - kommt es zu allerhand Verwicklungen, als ihr Geliebter tatsächlich im Ort erscheint. Zu guter Letzt klärt sich selbstverständlich alles auf, und einer Hochzeit zwischen den beiden steht nichts mehr im Wege. Die Komik des Stückes speist sich im Wesentlichen aus dem selbstgefälligen Provinzialismus der Kleinstädter.
In seinen Stücken behandelt Kotzebue u.a. Themen wie Vorurteile, die Ehe zu Dritt, Ehebruch und die Frage der Ehre, Täuschungen und Selbsttäuschungen, Unschuld und Verführung. Er arbeitet mit Verkleidungen und Rollentausch und den damit einhergehenden Verwechslungen, er lässt naive, aber edle Wilde auftreten und bringt so einen Hauch Exotik auf die Bühne. Er spielt mit den Konflikten, die sich aus dem Widerspruch von Liebe und Stand ergeben. Er ließ sich von der Commedia dell' arte inspirieren, und es lassen sich Molière, Goldoni, Gozzi als Vorbilder erkennen. Er will Rührung auslösen, daher gibt es bei ihm sentimentale Situationen "in Hülle und Fülle, dem Edelmut des Handelns ist keine Grenze gesetzt, aber Kotzebue weiß auch wiederum das empfindsam Rührende geschickt mit dem Komischen, vor allem aber mit dem Pikanten und Prickelnden zu mischen" (v. Wiese, S. 14). "Kotzebues Grenze liegt in seiner Sprache, die trotz gelegentlicher Wortkomik meist unnatürlich gespreizt und geschwollen wirkt und gerade beim pathetischen Tonfall ins Platte gerät" (v. Wiese, S. 14).
Goethe bewunderte Kotzebues "ausgezeichnetes Talent für alles, was Technik betrifft". Er meinte, dass er Theaterintendanten viele Mittel "in die Hand gegeben habe, die Zuschauer zu unterhalten und der Kasse zu nutzen" (nach v. Wiese, S. 8). Als Kotzebue sich mit Goethe 1802 wegen zu vieler Textstreichungen in seinem Lustspiel "Die deutschen Kleinstädter" entzweite und daraufhin der Weimarer Bühne keine Manuskripte seiner Stücke mehr zukommen ließ, verzeichnete man herbe Verluste. Dort war dann "in der Tat die schrecklichste Dürre und Hungersnot eingebrochen" (Karl August Böttiger, zitiert n. Mathes, S. 588).
Wolfgang Promies zieht folgendes Resümee:
"Kotzebues Schauspiele sind die leichte, verdauliche Kost, bieten die je nachdem Herz oder Kopf oder Zwerchfell behaglich anregende Dosis Rührseligkeit, Zeitproblematik, Exotik, Humor und schelmische Wollust, warten mit Ton und Hauch der großen Welt wie mit der sattsam bekannten Stube des Bürgers auf, sind aus dem Leben gegriffen und lassen doch den Alltag aus dem wohlmeinenden Spiel. Seelische Bedürfnisse des breiten Publikums befriedigte seinerzeit Kotzebue wie heutigentags der Film; seine Schauspiele begegnen ähnlich verkennenden Vorwürfen der Kunstfreunde und Kunstverständigen wie der heutige Unterhaltungs-, der gehobene Problemfilm. Sein die Spalten der Journale füllender internationaler Ruhm schließlich wäre dieser Tage nur dem eines Filmstars zu vergleichen". (In: August von Kotzebue, Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, München 1965, S. 300)
Benno von Wiese sieht mehr gesellschaftskritische als ästhetische Gründe, es heutzutage mit Kotzebues dramatischen Werken zu versuchen:
"An Kotzebue lässt sich lernen, welche Wunschvorstellungen das bürgerliche und adlige Publikum des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts gehabt hat. Soziologisch gesehen ist er ein ebenso interessanter wie bei¬spiel¬hafter Fall. Auch wäre es töricht, ihm das Geschick im Aufbau, Dialogführung und klug dosierter Ausnützung der szenischen Möglichkeiten abzusprechen. Wärme des Gefühls oder psychologische Darstellung der Leidenschaften darf man freilich nicht bei ihm erwarten. Seine Stärke ist das Arrangement. Für die kaleidoskophafte Bewegung seiner Stücke ver¬wendet er alle ihm zugänglichen Ausdrucksformen, in erster Linie die Mischung des Komischen mit dem Rührenden, Verdoppelungen der verschiedensten Art, Übertreibungen bis zur Karikatur, um komische Wirkungen zu erzielen, und einen mit Sentenzen durchsetzten Dialog, der die gewollte Wiederholung, vor allem die kontrastierende Wiederholung liebt." (S. 13)
Seinem eigenen Anspruch genügte Kotzebue dabei vollauf, denn der sah den Zweck des Theaters nicht darin, Ideale hervorzubringen, sondern zu unterhalten, "aber ohne große Anstrengung, und nur unter der Bedingung, daß es unmerklich geschehe" (August von Kotzebue, Vorbericht, zitiert nach v. Wiese, S. 9).
Heute ist von Kotzebues legendärem Ruhm nichts mehr geblieben. Er ist allenfalls eine Randbemerkung in germanistischen Seminaren. Kotzebue wird seit Jahrzehnten nicht mehr an deutschen Bühnen gegeben. Entsprechen die Themen seiner Stücke nicht mehr der heutigen Lebenswelt? Sind sie veraltet, weil er mehr anrührt als erheitert? Wiese meint, dass es dennoch ein dankenswerter Versuch wäre, "wenn moderne Inszenierungen den Mut fänden, Kotzebuesche Stücke, noch über seine eigenen Absichten hinaus, auch vom Sprachstil zu 'verfremden'". (v. Wiese., S. 14) "Kotzebue war gewiß kein Dichter von Rang, aber er war und bleibt ein Theaterpraktiker von Format" (v. Wiese, S. 39).
In Buchform ist derzeit nur noch das Lustspiel "Die deutschen Kleinstädter" von 1803 in Reclams Universalbibliothek lieferbar. Das Projekt Gutenberg macht neben den Kleinstädtern ein weiteres Werk online verfügbar ("Der Freimaurer"). Bibliothekarisch ist außerdem noch der Band "Schauspiele" (hg. von Jürg Mathes mit einem Vorwort von Benno v. Wiese, Frankfurt a.M., 1972) greifbar.
Und Kotzebue selbst? Sein eigenes Leben würde einen prächtigen Stoff für Theater oder Film abgeben.
August Friedrich Ferdinand von Kotzebue wurde am 3. Mai 1761 in Weimar geboren. Er war dreimal verheiratet. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Jena und Duisburg wird er Assessor am Obersten Gerichtshof in Reval, dann Präsident des Magistrats der Provinz Estland, gleichzeitig leitet er in Reval ein Lieb¬habertheater. Nach Aufenthalten in Paris und Mainz zieht er sich 1795 auf sein Anwesen bei Reval zurück und widmet sich der literarischen Arbeit. Im Laufe seines Lebens veröffentlicht er Romane, autobiografische Schriften und Dramen. 1798 wird er Direktor am Hoftheater in Wien, nach Querelen mit Schauspielern geht er nach Weimar zurück. Als er versucht nach St. Petersburg zurückzukehren, wird er an der Grenze verhaftet und nach Sibirien deportiert. Vom Zaren Paul I. wird er nach vier Monaten begnadigt und gegen seinen Wunsch zum Direktor des deutschen Theaters in St. Petersburg ernannt. Nach der Ermordung des Zaren kehrt er nach Weimar zurück, wo er in Konflikt mit Goethe gerät und daraufhin erneut nach Paris reist. Ab 1803 gibt er gemeinsam mit Garlieb Merkel in Berlin die gegen Goethe und die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel gerichtete Zeitschrift »Der Freimüthige« heraus, zerstreitet sich aber schon bald mit Merkel und kündigt seine Mitarbeit auf. Napoleons Sieg 1806 veranlasst ihn nach Russland zu fliehen, wo er zahlreiche satirischer Artikel gegen Napoleon verfasst. 1816 findet man ihn in der außenpolitischen Abteilung in St. Petersburg wieder, ab 1817 ist er als russischer Generalkonsul in Deutschland. Er wendet sich gegen die deutschen Universitäten, die Burschenschaften und Turnerbünde als Brutstätten der Revolution und verspottet den von den Studenten verehrten Turnvater Jahn. Der Vorwurf der Spionage steht im Raum. Seine "Geschichte des deutschen Reichs" wird auf dem Wartburgfest verbrannt. Kotzebue geht nach Mannheim, wo er am 23.3.1819 von dem Theologiestudenten Karl Sand ermordet wird. Das Attentat liefert den Vorwand für die Karlsbader Beschlüsse mit strengen Restriktionsmaßnahmen, der Kontrolle der Hochschulen und einer rigiden Zensur.
Seine wechselvolle Lebensgeschichte mit den vielfältigen Stationen ließe sich trefflich inszenieren. Allein sein Werk "Das merkwürdigste Jahr meines Lebens", das 1801 erschienen ist und in dem er seine Verhaftung an der russischen Grenze, die Trennung von seiner Frau (mitunter etwas rührselig), seine Deportation nach Sibirien und seine Freilassung darstellt, wobei er einige historische Fakten umgeht und sich selbst natürlich im besten Licht erscheinen lässt, liest sich durchaus unterhaltend und würde sich als Filmstoff eignen.
Abschließend sei hier Kotzebue selbst mit seinen Reflexionen über seine Theatertätigkeit zitiert, die sich u.a. aus den o.g. Wiener Erlebnissen speisen:
"der ich aus so mancher Erfahrung wußte, daß die verdienstvollsten Künstler leider oft die schlechtesten Menschen sind; daß ein einziges tadelndes Wörtchen den leise Getadelten – hättest du ihn auch vorher mit Strömen von Lob überschüttet – zu deinem bittersten Feinde macht, wenn gleich er selbst dich oft mit allen Symptomen der Aufrichtigkeit und Bescheidenheit um dein Urteil gebeten hatte; daß die meisten Schauspieler, selbst die bessern unter ihnen, nicht die Kunst, sondern nur den Künstler in sich lieben; daß sie ein großes Gemälde von lauter verzerrten Figuren mit Vergnügen sehen, wenn nur ihre eigene geliebte Figur mit schmeichelnden Farben unverzeichnet aus dem Hintergrunde hervortritt! Doch zu welcher Abschweifung verleitet mich eine zwanzigjährige, oft bittere Erfahrung! Genug. Ich sage, den Shakespeare parodierend: Eitelkeit, dein Name ist Schauspieler!" (August von Kotzebue, Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, hg. von Wolfgang Promies, München 1965, S. 253)
Die Retourkutsche kam prompt in Form einer Travestie des zitierten Kotzebueschen Stückes: "Eitelkeit Dein Name ist Poet oder der travestierte Menschenhaß und Reue, eine Posse zur Verdauung in drei Aufzügen von Bittermann. - In schlechten zwanglosen Versen. Wintersee, im Verlage des Herrn Adjunktus Peter Bittermann, 1806" (von Wiese, S. 542).
Werkauswahl:
1788 Menschenhaß und Reue (Drama)
1788 Die Indianer in England (Lustpiel)
1790 Doctor Bahrdt mit der eisernen Stirn, oder die deutsche Union gegen Zimmermann (Schmähschrift)
1799 Der hyperboreeische Esel oder die heutige Bildung (Pamphlet)
1801 Das merkwürdigste Jahr meines Lebens (2 Bände)
1801 Die deutschen Kleinstädter (Lustspiel)
1814/15 Geschichte des Deutschen Reiches von dessen Ursprunge bis zu dessen Untergange
Zitate aus:
Wolfgang Promies, "Nachwort". In: August von Kotzebue, Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, München 1965
Benno von Wiese, "Vorwort". In: Schauspiele (hg. von Jürg Mathes mit einem Vorwort von Benno v. Wiese, Frankfurt a.M., 1972
Jürg Mathes (Hg.): "Schauspiele" (mit einem Vorwort von Benno v. Wiese und Kommentar von Jürg Mathes), Frankfurt a.M., 1972