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DURCHSICHTIGKEIT DES KLANGBILDES -- SWR Symphonieorchester mit Isabelle Faust und Hannu Lintu in der Liederhalle STUTTGARTDURCHSICHTIGKEIT DES KLANGBILDES -- SWR Symphonieorchester mit Isabelle Faust...DURCHSICHTIGKEIT DES...

DURCHSICHTIGKEIT DES KLANGBILDES -- SWR Symphonieorchester mit Isabelle Faust und Hannu Lintu in der Liederhalle STUTTGART

am 28.6.2024

Einen finnischen Schwerpunkt hatte dieses Konzert unter der Leitung des finnischen Dirigenten Hannu Lintu. Zunächst erklang die "Berceuse elegiaque" ("Des Mannes Wiegenlied am Sarge seiner Mutter") op. 42 von Ferrucio Busoni. 1911 brachte Gustav Mahler dieses Werk bei seinem letzten Dirigat mit den New Yorker Philharmonikern zur Uraufführung. Zwischen den Polen Geburt und Tod entstehen hier geheimnisvolle Traumvisionen, die das SWR Symphonieorchester unter Hannu Lintu konzentriert beschwor. Busonis Ideal einer neuen Klassik schimmerte auch hier durch. Busoni wollte die traditionelle Tonskala durch Teilung des Ganztonabstandes in Drittel- oder sogar Sechsteltöne statt der gängigen Halbtonstufung verbreitern, was bei dieser bemerkenswerten Wiedergabe in Ansätzen deutlich wurde.

 

Hannu Lintu achtete als kompetenter Dirigent vor allem auf die konzentrierte Durchsichtigkeit des Klangbildes. Die inzwischen sehr renommierte und populäre Geigerin Isabelle Faust ("Artist in Residence" des SWR Symphonieorchesters) musizierte anschließend höchst virtuos, erfrischend und lebendig das Konzert für Violine und Orchester in D-Dur op. 61 von Ludwig van Beethoven. Schöner, harmonischer und tiefer ist kein einziges anderes Violinkonzert, wenngleich andere Komponisten ihre Violinkonzerte vielleicht "geigerischer"oder virtuoser gestaltet haben. Das wunderbare humane Ethos blitzte hier überall auf - und auch die weihevoll-ernsten Themen wurden von Isabelle Faust und dem SWR Symphonieorchester unter Hannu Lintu ausgezeichnet gestaltet. Das Wesen des Instruments strahlte  leuchtend hervor und entfaltete sich vor allem im Lyrischen.

Leise, mit vier später noch sehr bedeutungsvollen Paukenschlägen eröffnete den ersten Satz, Allegro ma non troppo, das gesangliche Hauptthema. Seinen breit strömenden Fluss fing dann ein modulierender Gedanke auf, der dramatisch und rhythmisch gestrafft war. Die Solovioline hüllte die Themen in hoher Lage in ein friedvoll-entrücktes Leuchten, das Isabelle Faust in wunderbarer Weise gelang. Auch die klare Form des Sonatenschemas wurde nie vernachlässigt. Mild-verklärend und erhaben schlicht  strahlte es immer wieder hervor. Die Kadenzen in der Übertragung nach Beethovens Originalkadenzen zur Klavierfassung op. 61a von Wolfgang Schneiderhan erklangen bei dieser Wiedergabe sehr figurativ und filigran. Und auch die Melodie des Larghetto des zweiten Satzes besaß edle Weihe und ergreifende Schönheit mit dem Unterton der sanften Ekstase. Die Umspielungen der variierten Melodie in der Solovioline gewannen eine eindringlich-ebenmäßige Dynamik.

Aus dieser feierlichen Entrücktheit leitete eine Kadenz hinüber in das Rondo mit seinem  fröhlich-ausgelassenen Thema. Im reizvollen Disput mit dem Orchester formten sich hier prägnante Einwürfe, die für Abwechslung und Überraschungen sorgten. Der Übermut verhinderte dabei tragische Verwicklungen - ganz leise verflüchtigte sich das Rondothema des Soloparts, bevor zwei kräftige Akkordschläge den Schlusspunkt setzten. Überhaupt erinnerten die sehr robusten Paukenschläge hier immer wieder an den kämpferischen Beethoven. Als Zugabe spielte Isabelle Faust noch ein Stück von Eugene Ysaye.

Eine Begegnung der besonderen Art hatte man dann mit dem finnischen Komponisten Erkki Melartin, dessen sinfonische Dichtung "Traumgesicht" op. 70 das Publikum im Beethovensaal tief beeindruckte. Es ist von Gabriele d'Annunzios Theaterstück "Der Traum eines Frühlingsmorgens" inspiriert worden. Tremolo-Passagen und chromatische Sequenzen prägten sich dabei tief ein. Auch hier faszinierte die facettenreiche Durchsichtigkeit des Klangbildes. Rimskij-Korsakow, Skrjabin und Strawinsky sind klanglich ebenfalls präsent, doch die Harmonik ist ganz und gar eigenständig und erstaunlich erfindungsreich. Hannu Lintu zauberte mit dem SWR Symphonieorchester eine Orchesterpalette mit gewaltigen dynamischen Steigerungen hervor.

Zuletzt erklang in einer beglückenden Interpretation die Sinfonie Nr. 3 in C-Dur op. 52 von Jean Sibelius, die zu den besten Werken des finnischen Meisters zählt. Knapper und konzentrierter als ihre Vorgänger besticht diese Sinfonie vor allem durch ihre geheimnisvolle Nähe zur Natur, die aus jeder Notenzeile spricht. Die Melodie finnischer Volksmusik wurde von Hannu Lintu und dem vorzüglichen SWR Symphonieorchester mit einer unglaublichen Intensität herausgearbeitet. Die Weiträumigkeit der Themenentwicklung mit ihrer immer mehr ausgreifenden Erweiterung kleinerer Keimphrasen besaß bewegenden klanglichen Reichtum. Auch der Zusammenschluss des ganzen Themas bis hin zum mehrgliedrigen Themenkomplex zeigte bei dieser sehr gelungenen Interpretation viele Nuancen.

Tänzerisch gelöst eröffnete den ersten Satz, Allegro moderato, im Bass das Kopfthema. Zusammen mit seiner konsequent gestalteten Fortsetzung in den Holzbläsern enthielt es bereits die ganze Substanz des Satzes. Auch die Bausteine für das zweite Thema in den Celli gehörten zum tänzerischen Rhythmus dazu. Geheimnisvolle Ruhepunkte stärkten neue Kräfte in der Durchführung. Zur Reprise leitete dann das zweite Thema zurück. Der Mittelteil, Andantino con moto, quasi allegretto, war ein stimmungsvolles und elegisches Stück, dessen Volksliedton das SWR Symphonieorchester reizvoll unterstrich. Die eindringliche Melodie steigerte sich bis zum breit angelegten Schluss. Das Finale, Moderato-Allegro, nahm dann den tänzerischen Ton des ersten Satzes wieder einfühlsam auf. Eine weitere Episode besaß deutlichen Scherzocharakter. Der Schlussteil wirkte bei dieser Wiedergabe scharf profiliert - und das eingängige Thema begeisterte durch seine rhythmischen Energien. Jubel, viele "Bravo"-Rufe.

Als musikalische Überraschung präsentierten Isabelle Faust (Violine), Raphael Sachs (Viola) und Frank-Michael Guthmann (Violoncello) zuletzt noch das überaus elektrisierend und temperamentvoll musizierte Streichtrio in c-Moll op. 9 Nr. 3 von Ludwig van Beethoven. Akzente und dynamische Gegensätze auf engstem Raum verdichteten sich hier zu einem überaus faszinierenden Klangbild, das im Kopfsatz mit einer leidenschaftlichen Coda endete. Das C-Dur-Adagio wurde dann zum  verinnerlichten Schwerpunkt des Werkes. Mit widerborstig-synkopischer Rhythmik wartete das Scherzo auf - und das Finale mit seinem zweiten markanten Thema in es-Moll gewann mit seinem versöhnlichen C-Dur-Schluss ungemeine klangliche Kraft.
 

 

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