In Verdis Entwicklung spielt nun der „Don Carlos“ (uraufgeführt am 11. März 1867 im Théâtre Impérial de l’Opéra, Paris) eine ganz besondere Rolle. Mit diesem Werk ändert sich sein Ton. Verdi benutzt das Schillersche Drama gleichsam als Hebel, um die Bühne frei zu machen für ein umfassenderes Musiktheater: Ohne falsches Pathos wird in dieser Oper das Durchdringen von politischen Verhältnissen und persönlichen Konflikten, von existentiellen menschlichen Problemen und mächtigen historischen Interessen sowie das Aufeinanderprallen von weltlicher und geistlicher Macht zur Darstellung gebracht.
Gezeigt wird – am Beispiel der spanischen Monarchie im 16. Jahrhundert – die Unordnung einer Ordnung, die über Leichen geht. Philipp II. kämpft für diese Ordnung, die keine mehr ist, unerbittlich, hart, grausam, bedenkenlos. Aber er leidet auch unter seiner Macht, die ihn vereinsamt und von allen menschlichen Verbindungen isoliert: Die Tragödie eines einsamen Mannes, der seinen Sohn Carlos und dessen besten Freund, den – Unterdrückung bekämpfenden und Menschlichkeit einfordernden - Marquis von Posa opfert. Die Tragödie eines Mannes, der selbst abhängig ist vom Mechanismus seines Systems und vor allem von der Kirche, der Inquisition. Im Namen des rechten Glaubens werden ganze Völker unterjocht, Menschen gemordet, vergewaltigt und verbrannt. Menschen als „Nummern“, als Material der Geschichte.
Menschenverachtung, durch den Glauben, durch Ideologie „geheiligt“. Verdis „Don Carlos“ ist eine Oper über ein Überwachungs- und Terrorsystem und über Menschen, die zu Gefangenen dieses herrschenden Machtapparats geworden sind. Im Gegensatz zu Schiller, bei dem die handelnden Personen Träger von Ideen sind, die Geschichte machen und provozieren, rückt Verdi die Einzelschicksale der Menschen in den Vordergrund. „Wie Meyerbeer und Wagner an vergleichbaren Stellen meistert Verdi die Schwierigkeit, ‚Ideenmusik’ zu schreiben, durch den Kunstgriff der Personalisierung und Emotionalisierung.“ (Sieghart Döhring)
Oper in fünf Akten von Giuseppe Verdi (Modena-Fassung, 1886), Text von Joseph Méry und Camille du Locle, nach dem Dramatischen Gedicht „Don Carlos, Infant von Spanien“ (1805) von Friedrich Schiller
– in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Justin Brown | Inszenierung: Robert Tannenbaum | Bühne: Christian Floeren | Kostüme: Ute Frühling | Chor: Carl Robert Helg
Mit: Ks. Konstantin Gorny / Mika Kares (Philipp II.), Barbara Dobrzanska (Elisabeth), Keith Ikaia-Purdy (Don Carlos), Sabina Willeit / Anna Maria Dur (Eboli), Armin Kolarczyk / Walter Donati (Marquis von Posa), Ulrich Schneider / Mika Kares (Großinquisitor), Luiz Molz / Lukas Schmid (Ein Mönch), Clara Lim / Özgecan Gençer / Berit Barfred Jensen (Tebaldo), Daniela Köhler (Gräfin von Aremberg), Mehmet Utku Kuzuluk (Graf Lerma / Herold), Gideon Poppe (Herold), Özgecan Gençer / Clara Lim / Berit Barfred Jensen (Stimme von oben)
Badischer Staatsopernchor, Extrachor
Badische Staatskapelle
Weitere Vorstellungen: 16. und 23. Mai 2009