Kleists "Käthchen von Heilbronn" ist eine verwegene Geschichte mit einer Handlung wie im Märchen - mit König, Prinz, verwunschener Prinzessin, böser Hexe, rettendem Cherubim und Traumprophezeiung in der Silvesternacht. Amelie Niermeyer versucht in ihrer jetzigen Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus auch die anderen, greuelhaften Handlungsebenen stärker hervorzuheben, als da wären Rufmord, Entführung, Folter, Brandstiftung, Mordversuch.
Das Stück beginnt in einem Gerichtssaal, der sich hier wie ein Anatomiehörsaal ausnimmt. Aber die Sezierung des Falles geht nicht so recht voran. Angeklagt wegen Zauberei und Verführung ist Graf Wetter vom Strahl. Der vermeintliche Täter entpuppt sich jedoch im Lauf des Verfahrens als Opfer einer Stalkerin, eben des Käthchens aus Heilbronn, das ihn aus unerklärlichen Gründen "wie eine Hündin" verfolgt. Das verleitet den Grafen, sie mitunter auch wie eine Hündin zu behandeln, sie zu treten, im Stall unterzubringen, sie immer wieder zu verstoßen. Käthchen war bis zur Begegnung mit dem Grafen ein braves, engelsgleiches Wesen. Warum sie dann plötzlich ihren Vater verlässt und dem Grafen nachreist, wird in dieser Gerichtsverhandlung nicht geklärt Die Klärung dieser Frage ist jedoch das wesentliche Antriebselement des weiteren Geschehens.
Niermeyer möchte uns ihr Käthchen als selbstbewusst handelndes Wesen vorstellen: das gelingt ihr nicht, bei ihr wandert sie etwas somnambul über die Bühne. Und selbstbewusst ist Kleists Käthchen ja in der Tat auch nicht, sondern unbeirrt, vielleicht penetrant, etwas naiv, unreflektiert und zugleich rücksichtslos.
Kleists Charaktere sind extrem handelnde Persönlichkeiten, die ihre Gefühle rücksichtslos ausleben und mitunter rational nicht fassbar sind. Das deutlich zu machen gelingt Niermeyer nur bei den negativen Gefühlsregungen wie etwa Verzweiflung, Eifersucht und Rachsucht. Die Schlüsselszene, in der Graf Wetter von Strahl versucht, sich seiner Gefühle für Käthchen klar zu werden und erkennen muss, dass er sich in sie verliebt hat, ist leider zu fahrig gespielt und bleibt somit vertan. Überhaupt wirken die Schauspieler wenig mit ihren Rollen verknüpft, sie spielen distanziert. Kunigunde von Thurneck erscheint eher glamourös als boshaft und zerrissen. Einzig dem Vater des Käthchens vermag man seine Verzweiflung halbwegs abzunehmen.
Bühnenbild und musikalische Begleitung wirken wie aus einem Guss. Der waschechte Schimmel als rettender Cherubim ist ein amüsanter Hinweis auf das Märchenhafte des Stücks.
Niermeyers Inszenierung befriedigt jedoch nicht, es gibt schöne Ansätze, insgesamt aber wirkt sie zu unterkühlt. Die Macht der Gefühle hätte man sich etwas eindrucksvoller gewünscht. Leider war auch der Text im ersten Teil der Aufführung oftmals nicht zu hören!
Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühne: Maria-Alice Bahra
Kostüme: Stefanie Seitz
Musik Parviz Mir-Ali
Darsteller (in): Pierre Siegenthaler, Markus Scheumann, Susanne Tremper, Thiemo Schwarz, Cathleen Baumann, Mariannne Hoika, Michael Schütz, Claudia Eisinger, Jean-Luc Bubert, Denis Geyersbach, Michele Cuciuffo
Premiere am 14.9.2007 im Großen Haus