Mondschein, zwei Männer, eine Frau begegnen sich in der Ruhe der Nacht. Die Musik setzt ein. Weitere Tänzer kommen dazu. Zu den Sonaten Nr. 6 und Nr. 10 von Alexander Skrijabin und dem Grand Valse di bravura "Le Bal de Berne" von Franz Liszt, von Denys Proshayev live gespielt, entfaltet Martin Schläpfer in seinem neuesten Werk" Verwundert seyn - zu sehn" den Gedankenkosmos eines Mannes, den die Frage nach dem Menschsein umtreibt. Vergangenes und Zukünftiges, Bedürfnisse, Hoffnungen und Sehnsüchte, Emotionen und das sich Selbsterkunden sind, bezugnehmend auf Schopenhauers Parerga und Parolipomena, aus dem sich der Titel des Stückes entlehnt, das Thema. Der Mond dreht sich um sich selbst, die Gedanken kreisen. Was deren Inhalt ist, darf der Zuschauer erahnen.
Es gibt einige Passagen ohne Musik, womit Schläpfer auf das nachfolgende "Moves - A Ballett in Silence" von Jerome Robbins aus dem Jahre 1959 einstimmt, das komplett ohne Musik ausgeführt wird. Absolute Stille stellt sich dennoch nicht ein, denn nun wird jedes Geräusch besonders deutlich vernommen: das von den Tänzern verursachte Knallen und Schleifen der Schuhe, das bewusste Klatschen der Hände auf den Boden, das Schlagen auf den Körper; die Geräusche der Opernbesucher: das Husten und Hüsteln, das Rascheln der Papiertücher, das Quietschen der Sitze, das Türenschlagen ebenso wie die Sirene des Notfallwagens draußen auf der Straße. Aus dem anfangs wie ein Warmup Wirkenden entwickelt sich allmählich ein Geflecht von Beziehungen, in dem die Tänzer Impulse des jeweils anderen aufgreifen und weitergeben. Eine Studie nicht nur über die Stille, sondern auch über das Miteinander.
Wieder ist es Nacht, eine Eule verbirgt sich zwischen den wellenartigen Stahlstangen des abstrakt angedeuteten Waldes. Zur geheimnisvollen Musik von Paul Pavey, streifen die Tänzerinnen und Tänzer durch die Natur, begegnen Pflanzen und Wesen, verwandeln sich selbst in Vögel, die auf Äsen sitzen und unter Wasser schweben. Was wie eine märchenhafte nächtliche Wanderung erscheint, ist aber auch zugleich eine Reise durch eine traumhafte Seelenlandschaft. "Ein Wald, ein See", von Martin Schläpfer 2006 kreiert, ist poetisch, atmosphärisch dicht und berückend schön.
Alle drei Stücke fanden beim Publikum begeisterten Anklang.
VERWUNDERT SEYN – ZU SEHN (Uraufführung) von Martin Schläpfer
MUSIK Sonaten für Klavier Nr. 6 und Nr. 10 von Alexander Skrjabin sowie „Grande Valse di bravura ‚Le bal de Berne‘“ (Erste Fassung) S 209 von Franz Liszt
Choreographie: Martin Schläpfer
Bühne und Kostüme: Keso Dekker
Licht: Franz-Xaver Schaffer
Videotechnik: Christoph Schödel
Klavier: Denys Proshayev
Tänzerinnen: Ann-Kathrin Adam, Camille Andriot, Sabrina Delafield, Sonia Dvorak, Christine Jaroszewski, Helen Clare Kinney, Anne Marchand, Louisa Rachedi, Aryanne Raymundo, Elisabeta Stanculescu
Tänzer: Philip Handschin, Richard Jones, Marcos Menha, Chidozie Nzerem
MOVES - A BALLET IN SILENCE von Jerome Robbins © The Robbins Rights Trust
Choreographie: Jerome Robbins
Kostümrealisation: Gabriela Oehmchen
Licht: Jennifer Tipton
Choreographische Einstudierung: Ben Huys
Tänzerinnen: Mariana Dias, Nathalie Guth, Alexandra Inculet, So-Yeon Kim, Claudine Schoch, Julie Thirault
Tänzer: Paul Calderone, Jackson Carroll, Michael Foster, Sonny Locsin, Bruno Narnhammer, Alexandre Simões
EIN WALD, EIN SEE von Martin Schläpfer
MUSIK Paul Pavey
Choreographie: Martin Schläpfer
Bühne: Thomas Ziegler
Kostüme: Catherine Voeffray
Licht: Franz-Xaver Schaffer
Live-Musik: Paul Pavey
Tänzerinnen: Sachika Abe, Marlúcia do Amaral, Doris Becker, Wun Sze Chan, Feline van Dijken, Nathalie Guth, Yuko Kato, Virginia Segarra Vidal, Julie Thirault, Irene Vaqueiro
Tänzer: Rashaen Arts, Andriy Boyetskyy, Jackson Carroll, Odsuren Dagva, Filipe Frederico, Sonny Locsin, Alexander McKinnon, Boris Randzio, Friedrich Pohl