Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
"Der Stein" von Marius von Mayenburg, Theater Heilbronn"Der Stein" von Marius von Mayenburg, Theater Heilbronn"Der Stein" von Marius...

"Der Stein" von Marius von Mayenburg, Theater Heilbronn

Premiere am 26. April 2013, 19.30 Uhr, Großes Haus. -----

1993 kehrt Heidrun in das Haus ihrer Eltern in Dresden zurück, das sie als kleines Mädchen 1953 verlassen musste, als sie mit ihrer Mutter in den Westen floh. Sie will in dem alten Haus leben und glücklich sein - zusammen mit ihrer Mutter Witha und der Tochter Hannah.

 

Doch so richtig will es nicht klappen mit dem Glück im trauten Heim. Hannah, der 15-Jährigen gefällt es dort nicht, sie gehört da nicht hin, fühlt sie. Und Witha, die über 80-Jährige, wird von ihren Erinnerungen heimgesucht. 1935 hatten sie und ihr Mann Wolfgang das Haus einer jüdischen Familie abgekauft und den Schwarzmanns damit die Flucht nach Amerika ermöglicht. So zumindest behauptet es die Familienlegende. Und dann steht da plötzlich eine junge Frau im Raum, die kommt, um zu stören, weil sie meint, auch ein Anrecht auf das Haus zu haben. Und als Hannah beschließt, nach Amerika zu gehen, um die Schwarzmanns zu treffen, gerät das ganze schöne Bild von der Vergangenheit der eigenen Familie ins Wanken.

 

Geschickt verknüpft Marius von Mayenburg fast 60 Jahre deutscher Geschichte zu einem spannenden Stück Theater, das sowohl die Zeit des Nationalsozialismus als auch die innerdeutschen Ver- und Entwicklungen nach dem Krieg und nach dem Ende der DDR beleuchtet. In 34 kurzen Szenen springt die Handlung zwischen fünf Zeitebenen hin und her. Ein Puzzle der Erinnerungen, das die Beteiligten wie die Zuschauer zusammensetzen müssen. Da sind der Einzug von Witha und Wolfgang in das Haus (1935), die verheerende Bombennacht (1945), das Kofferpacken für die hastige Republikflucht in den Westen (1953), der Besuch „im Osten“, in dem Haus, das jetzt von anderen Menschen bewohnt wird (1978) und der Versuch eines Neuanfangs (1993). Immer drehen sich Withas Gedanken um jenen Tag im Jahr 1935, an dem sie mit der Jüdin Mieze im Haus darauf wartet, dass ihre Ehemänner im Nebenzimmer den Kaufvertrag unterzeichnen.

 

Wie ein Netz webt Marius von Mayenburg seine Szenen, die Zeiten ineinander und verknüpft sie über Objekte, die durch die Szenen wandern, und Szenenanschlüsse, in denen Figuren über die Zeiten hinweg aufeinander zu reagieren oder zu antworten scheinen. Durch den Blick in Vergangenheit und Zukunft, in unterschiedliche Lebensalter der Figuren, wird der Zuschauer zum Zeugen, wie Verklärungen und Lügen entstehen, die in der „Gegenwart“ von 1993 zu selbstverständlichen Wahrheiten geworden sind. Geschichte wird hier erzählt und erlebt als Familiengeschichte, die sich als Konstrukt, als Erfindung erweist und Unangenehmes, Schmerzhaftes oder Traumatisches ausblendet oder verdrängt.

 

„Der Stein“ sei ein weiter Wurf und ein ziemlicher Brocken, schrieb „Theater heute“ in einem Interview mit dem Autor Marius von Mayenburg anlässlich der Uraufführung dieses Stückes 2008. So etwas habe seit Heiner Müller kein deutscher Autor mehr gewagt.

 

Regie: Esther Hattenbach

Bühne: David Hohmann

Kostüme: Alice Nierentz

 

Mit: Julia Apfelthaler (Hannah), Sylvia Bretschneider (Heidrun), Judith Lilly Raab (Mieze), Luise Schubert (Stefanie), Sabine Unger (Witha), Tobias D. Weber (Wolfgang)

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 15 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

FASZINIERENDE VERBINDUNG VON BILD UND TON -- Neue CD: "Geometry of Time" mit Francesca Guccione beim Label Neue Meister/

Analoge Synthesizer spielen beim aktuellen Album der italienischen Geigerin und Komponistin Francesca Guccione eine große Rolle. Sie war schon immer von der Verbindung von Ton und Bild fasziniert.…

Von: ALEXANDER WALTHER

ENORMER KLANGFARBENREICHTUM -- Bietigheimer Orgelherbst mit Jürgen Benkö in der katholischen Kirche St. Laurentius/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Wieder konnte Jürgen Benkö mit seinen Interpretationen in besonderer Weise überzeugen. Als Dekanatskirchenmusiker gestaltete er den faszinierenden Auftakt des diesjährigen "Bietigheimer…

Von: ALEXANDER WALTHER

FASZINIERENDES BASSFUNDAMENT -- Neue CD mit Werken von Sofia Gubaidulina bei Orfeo erschienen

Die in Tschistopol (Tatarstan) aufgewachsene Sofia Gubaidulina ist inzwischen über 90 Jahre alt und wurde von Dimitri Schostakowitsch gefördert. Neben Edison Denissow und Alfred Schnittke gehörte sie…

Von: ALEXANDER WALTHER

DER TANZ ALS MYSTERIENSPIEL -- "Ich bin nur anders oder Primzahlen sind wie das Leben" als Tanztheater von Katja Erdmann-Rajski im Treffpunkt Rotebühlplatz/STUTTGART

Katja Erdmann-Rajski hat sich bei ihrem neuen Tanztheater-Projekt von Mark Haddons Roman "Supergute Tage" inspirieren lassen. Hier steht der Protagonist Christopher im Mittelpunkt des Geschehens. Er…

Von: ALEXANDER WALTHER

EINGREIFEN DES ÜBERMÄCHTIGEN -- Salzburger Festspiele - Live-Stream von BR-Klassik mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Sir Simon Rattle

Paul Bekker bezeichnete Mahlers sechste Sinfonie in a-Moll "als Kampf des Wollenden gegen das Starre, das Niederzwingende, das Stumpfe". Im reichen Schlagzeug fallen Herdenglocken auf. Laut Bekker…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑