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"Der gute Mensch von Sezuan" von Bertolt Brecht, Musik von Paul Dessau, THEATER HEILBRONN

Premiere am 22. September 2017, 19.30 Uhr, Großes Haus. -----

»Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.« (Bertolt Brecht) Kann ein Mensch gut sein in einer Welt, in der ein Fortkommen nahezu untrennbar mit Rücksichtslosigkeit und Egoismus verbunden ist? In welcher der Reichtum der einen auf der Ausbeutung der anderen beruht?

Wie kann derjenige sich Moral leisten, der nicht genug zum Leben hat? »Der gute Mensch von Sezuan«, Bertolt Brechts zeitlose Parabel über die Unmöglichkeit, Güte in einer entmenschlichten Welt zu leben, eröffnet im Großen Haus die Spielzeit am Theater Heilbronn. Die Provinz Sezuan in der Parabel, steht für alle Orte »an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden«, stellt Bertolt Brecht seinem Stück voran.

Zum Inhalt

Lange schon ziehen drei Götter durch die Welt und suchen einen guten Menschen. Sie müssen ihn finden, denn sonst ist ihre Mission gescheitert. Seit 2000 Jahren hören sie das Geschrei, es gehe nicht weiter mit der Welt, wie sie ist. Niemand könne gut auf ihr bleiben. Fast scheint ihre Suche auch in der armen Provinz Sezuan vergebens zu sein, niemand will ihnen Quartier geben. Bis sie auf die Hure Shen Te treffen, die einen Freier abweist und damit auf Einkünfte verzichtet, nur um den drei Reisenden zu helfen. Endlich haben sie also ihren guten Menschen gefunden, glauben die Götter. Sie schenken Shen Te Geld, damit sie sich selbst nicht mehr verkaufen muss. Damit eröffnet die junge Frau einen kleinen Tabakladen. Doch ihr bescheidener Wohlstand weckt Begehrlichkeiten. Bald kommen arme Menschen, aber auch Schmarotzer, fordern Essen, Geld und Unterkunft und nutzen die Gutmütigkeit des »Engels der Vorstadt«, wie Shen Te bald genannt wird, aus. Auch der Flieger Sun hat nur ihr Geld im Sinn, als er ihr seine Liebe vorgaukelt. Fast stürzt sie wegen ihrer Großherzigkeit und Liebesblindheit in den Ruin. Da zieht sie die Notbremse. Wenn sie als gutmütige Shen Te niemandem eine Bitte abschlagen kann, gelingt es ihr vielleicht als erfundener Vetter Shui Ta, in den sie sich jetzt verwandelt, und der als knallharter, skrupelloser Geschäftsmann auftritt. Ohne Rücksicht auf Moral baut Shui Ta den kleinen Laden zu einer Tabakfabrik aus und lässt die Arbeiter hart schuften. Der einzige gute Mensch, den die Götter glaubten gefunden zu haben, scheint indes verschwunden zu sein.

Antagonismen bis heute unaufgelöst

»Der gute Mensch von Sezuan« ist das Stück, das Brecht am längsten beschäftigt hat. 1930 hat er es unter dem Titel „Die Ware Liebe“ begonnen, um es zwischen 1938 und 1942 fertig zu stellen. Die gesellschaftlichen Antagonismen, die Brecht anhand dieser Parabel abhandelt, sind bis heute unaufgelöst. »Der gute Mensch von Sezuan« hat nichts an Spannung und Aktualität verloren. Arbeitslosigkeit, schlechte Zahlungsmoral, Ellenbogenmentalität, Kriechertum, die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich - all diese nur allzu bekannten Erscheinungen der heutigen Gesellschaft begegnen uns in diesem 1943 uraufgeführten Stück wieder.

Was bedeutet Armut 2017?

Regisseur Adebisi fragt in seiner Inszenierung: Was bedeutet Armut im Jahre 2017? Die soziale Spaltung reißt die Gesellschaft auseinander. Ein Prozent der Bevölkerung verfügt über ein Drittel des gesamten Vermögens in Deutschland und damit über mehr als doppelt so viel wie die unteren 70 Prozent der Deutschen zusammengenommen. Rund 12 Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut bedroht. Heute gehen die Menschen nicht mehr hungrig ins Bett. Sie haben sogar Arbeit – von der sie aber kaum leben können, von der zukünftigen Rente ganz zu schweigen. Selbst für den Mittelstand wird es heute immer schwieriger, das Wohnen, den Lebensunterhalt oder eine gute Ausbildung für die Kinder zu bezahlen. Armut bedeutet vor allem eine Armut an Chancen, an guter Gesundheitsvorsorge, an Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. „Aber Fett, Sex, Zucker und die mediale Geschwindigkeit sind die Drogen, die die Abgehängten ruhig stellen und nicht aufbegehren lassen“, sagt Adebisi.

Beispielhaft für das epische Theater

Adebisi will sich auch in seiner Inszenierung des Wesens der Parabel bedienen und in klaren, gleichnishaften Bildern von den gesellschaftlichen Widersprüchen erzählen. »Die Parabel ist die unterhaltsame Materialisierung eines gesellschaftlichen Diskurses.« Wichtiges dramaturgisches und kommentierendes Element sind die Lieder, die Paul Dessau für „Der gute Mensch von Sezuan“ komponiert hat. Sie illustrieren nicht den Text oder die Gefühlslage der Figuren, sondern die Schauspieler treten mit den Songs aus ihren Rollen heraus und nehmen Stellung zum Geschehen. Der musikalische Leiter Johannes Bartmes hat die Musik von Paul Dessau moderat adaptiert und begleitet die Inszenierung mit seiner Band Cobody. Auch mit den Zwischenspielen und mit der direkten Ansprache der Figuren an das Publikum setzt Brecht in diesem Stück beispielhaft seine Theorie vom Epischen Theater um. Damit wollte er den Zuschauer nicht zum Mitfühlen, sondern zum Mitdenken anregen. In seinem Arbeitstagebuch zum "Guten Menschen" schrieb er, dass er sich lange um zufriedenstellende Antworten für die im Stück aufgeführten unversöhnlichen Widersprüche bemüht habe. Und doch müsse er mit jenem berühmt gewordenen Satz schließen: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen - Den Vorhang zu und alle Fragen offen." Das Weiterdenken bleibt den Zuschauern überlassen.

Adewale Teodros Adebisi (Regie) wurde in Wien geboren und absolvierte eine Ausbildung zum Fotografen. Von 1992 bis 1997 war er Regieassistent am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Im Anschluss daran arbeitete er zwei Jahre als freier Regisseur und Schauspieler in Tübingen, Koblenz, Nürnberg, München und Wien. Ein Festengagement als Regisseur führte ihn für drei Jahre an das Theater der Stadt Koblenz. Seit 2002 arbeitet Adebisi als freier Regisseur, hauptsächlich für die Bühne aber auch im Filmbereich. An der Folkwang Hochschule Bochum ist er seit 2008 als Dozent für Schauspiel beschäftigt, seit 2014 leitet er diesen Studiengang.In Heilbronn führte er bereits Regie bei den Schauspielen „Krieg – stell dir vor, er wäre hier“ und „Kriegerin“ in der BOXX.

Regie: Adewale Teodros Adebisi

Musikalische Leitung: Johannes Bartmes

Ausstattung: Daniel Angermayr

Dramaturgie: Kristin Päckert

Es spielen: Oliver Firit (Barbier Shu Fu /Der Mann); Stella Goritzki (Shen Te und Shui Ta); Gabriel Kemmether (Polizist/Arbeitsloser); Frank Lienert-Mondanelli (Erster Gott/Teppichhändler/Bonze); Judith Lilly Raab (Die Witwe Shin/Prostituierte); Paul- Louis Schopf (Der Neffe); Raik Singer (Zweiter Gott/ Schreiner Lin To/ Der Kellner); Tamara Theisen (Dritter Gott/Hausbesitzerin Mi Tzü/Prostituierte); Sven-Marcel Voss (Flieger Yang Sun); Tobias D. Weber (Wang, ein Wasserverkäufer), Katrin Wunderlich (Frau Yang, Mutter des Fliegers /Prostituierte/ Die Frau)

Statisterie

Band Cobody: Johannes Bartmes (Tasteninstrumente); Erwin Ditzner (Schlagzeug); Kosho (E-Gitarre)

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