Es ist ein sehr spannender, widersprüchlicher Charakter, den Bertolt Brecht ins Zentrum seiner Abhandlung über die gesellschaftliche Verantwortung des Wissenschaftlers stellt, um über seine eigene Gegenwart zu reflektieren. Der Fall Galilei gilt auch heute noch als Parabel über die Wissenschaft, die sich in den Dienst der Mächtigen stellt.
Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums, sondern ein Planet unter vielen, der sich um die Sonne bewegt! 1609 findet Galileo Galilei im italienischen Padua endlich den Beweis für dieses Weltbild, das Kopernikus bereits ein halbes Jahrhundert zuvor theoretisch berechnet hatte, bevor ihn der Bannstrahl der Kirche traf. Seit 2000 Jahren gilt die aristotelische Lehre als unumstößlich, nach der die Sonne und alle Gestirne sich in einer Himmelsschale um die fest im Zentrum stehende Erde drehen. Nun ist eine neue Zeit angebrochen, glaubt Galilei, in der man den Ursachen aller Dinge auf den Grund geht. Denn niemand dürfe sich vor dem verschließen, was man mit eigenen Augen sehen kann. Das Fernrohr, eine zunächst einfache Erfindung aus Holland, wird von Galilei weiterentwickelt und auf Sonne, Mond und Sterne gerichtet. Das, was da zu sehen ist, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass Kopernikus Recht hatte. Die Menschheit muss in ihr Journal eintragen: „Himmel abgeschafft!“ Galileis Freund Sagredo, der Kurator der Universität zu Padua, zittert davor, dass diese Erkenntnisse wahr sein könnten und er warnt Galilei diese publik zu machen, denn: „Wo ist dann Gott? „In uns oder nirgends“ – entgegnet Galilei, eine Behauptung, für die Giordano Bruno erst zehn Jahre zuvor als Ketzer verbrannt wurde. Galilei indes glaubt an die Vernunft und die Überzeugungskraft der Beweise und geht an den Hof von Florenz, um seine Forschungen fortsetzen. Dort hat er Muße, Geld und die „Fleischtöpfe“ für ein ruhiges wissenschaftliches Arbeiten.
Doch der Widerstand der kirchlichen Würdenträger lässt nicht lange auf sich warten. Wie könne Galilei nur die Erde zu einem kleinen abseitigen Gestirnlein erniedrigen? Schließlich sei sie der Ort, wo der Mensch, die Krone der Schöpfung, lebe. Die Kardinäle fordern ihn auf, sich an die Tatsache zu halten, dass das Heilige Offizium die Lehre des Kopernikus für absurd und ketzerisch erklärt hat. Forschen dürfe er, so lange am Ende die kirchliche Lehrmeinung Recht behält.
Galileis Erkenntnisse, die in der Sprache des Volkes verfasst sind, verbreiten sich rasend schnell. Bänkelsänger bringen sie in die entlegensten Gegenden des Landes, schüren Zweifel an der Unumstößlichkeit der kirchlichen Lehre und drohen die „göttliche Geduld“ zu beenden, mit der die Menschen Hunger und Elend in der Hoffnung auf ein besseres Leben im Himmel ertragen haben. Die Unwissenheit der breiten Masse garantiert der Kirche die Macht.
1633 wird Galilei nach Rom beordert. Man macht ihn verantwortlich für die Pamphlete gegen die Bibel, die überall im Umlauf sind. Er habe nur ein Buch über die Mechanik des Universums geschrieben, was daraus gemacht werde, liege nicht in seiner Verantwortung, behauptet Galilei. Er soll abschwören, verlangt die Inquisition. Wenn nicht, dann droht ihm die Folter. Er widerruft.
Die Auseinandersetzung mit dem „Leben des Galilei“ war ein Lebensprojekt für Bertolt Brecht. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er daran und erstellte drei Fassungen mit unterschiedlichen Gewichtungen. Die erste Fassung schrieb Bertolt Brecht 1938/39 im dänischen Exil (Uraufführung: Zürich 1943). Hier zeigte er noch vollstes Verständnis für Galileis Widerruf und betrachtete die Lüge als legitime Ausflucht in Diktaturen. Während er noch in den USA an seiner zweiten Fassung arbeitete (1944/45; Uraufführung Los Angeles 1947), zündeten die Amerikaner Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Dadurch bekam Brechts Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftler eine neue Dimension. Das gilt auch für die letzte Fassung aus den Jahren 1953 bis 1956 (Uraufführung: Berlin 1957), die heute als letztgültige Variante auf den Bühnen gespielt wird. Übrigens wurde Galileis Buch erst 1835 vom Index genommen, und Galilei selbst 350 Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1992, von Johannes Paul II. rehabilitiert.
Galilei steht wie kein anderer Wissenschaftler für einen historischen Umbruch, die Geburt der modernen Naturwissenschaft. Seit der Zeit Galileis macht die Wissenschaft nicht nur rasante Fortschritte, sondern greift auch immer mehr in unser Leben ein. Erkenntnis und Anwendung stehen seit Galileis Zeit in einem engen, oft auch problematischen Zusammenhang. Die Wissenschaft kann für Aufklärung und Emanzipation stehen, aber auch für Machtinteressen in Anspruch genommen werden. Beides zeichnete sich bereits in Galileis Zeit ab. (Jürgen Renn, Direktor der Max-Planck-Gesellschaft zum 450. Geburtstag Galileo Galileis 2014)
Regie: Esther Hattenbach
Bühnenbild: Ulrike Melnik
Kostüme: Alice Nierentz
Musikalische Leitung: Johannes Bartmes
Dramaturgie: Eva Bormann
Es spielen: Anastasija Bräuniger (Virginia, Galileis Tochter), Sylvia Bretschneider (Frau Sarti, Galileis Haushälterin), Nils Brück (Galileo Galilei), Anjo Czernich (Andrea Sarti), Gabriel Kermmether (Kardinal Bellarim/Gelehrter Filippo Mucius), Frank Lienert-Mondanelli (Sagredo), Judith-Lilly Raab (der kleine Mönch), Raik Singer (Kardinal Inquisitor), Tobias Weber (Kardinal Barberini), Sebastian Weiss (Ludovico Marsili/ ein Mönch)
Die Band: Johannes Bartmes, Philipp Gras, Johannes Liepold, Dirk Rumig, Peter Scheibel
Statisterie: Kai Bauer, Jacob Brandt, Roman Bürkle, Jochen Köhler, Halil Saricaoglu
Weitere Vorstellungstermine: 25.09., 30.09., 11.10., 22.10., 24.10., 31.10., 04.11., 13.11., 09.12., 17.12., 18.12., 07.01., 12.01., 26.01. – jeweils um 19.30 Uhr