Für Jan Gerdes besteht sein Selbstverständnis als zeitgenössischer Musiker, Interpret und Komponist immer auch darin, das aktuelle künstlerische Schaffen zeitgenössischer Komponisten als Reflexion auf aktuelle gesellschaftliche und politische Zustände und Strömungen zu begreifen. Die "Johannesburg-Etüden" (2012/2015) der in Johannesburg lebenden Komponistin Clare Loveday erkunden in konzentrierter Weise den gesamten Tonumfang und die Resonanz des Klaviers. Jan Gerdes lotet hier die klanglichen Möglichkeiten konsequent aus. Die kreative Energie, die Größe und überraschende Stille dieser geheimnisvollen Stadt wird fast hypnotisch beschrieben.
Von dem in Durban geborenen Komponisten Andile Khumalo interpretiert Jan Gerdes hier "Schau-fe(r)n-ster II" (2014). Es handelt sich um eine Gruppe von Klavierwerken, die Klaviersoli und Klavierduette umfasst. Es geht dabei um eine minimalistische Herangehensweise an das Material. Khumalos kurzes Klavierstück "Colour me in" (2016) ist Teil eines Zyklus von kurzen Klavierstücken mit dem Titel "Snapshots". Musikalische Einflüsse werden als unerschöpfliche Inspirationsquelle genutzt, was Jan Gerdes einfühlsam unterstreicht.
Von dem nigerianischen Komponisten Chidi Obijiaku erklingt dann als Weltersteinspielung "A Walk In A Misty Morning" (2022), wo traditionelle Igbo-Musik, nigerianischer Hip-Hop, Highlife-Musik und die Pidgin-Sprache hervorstechen. Diese Arbeit ist durchaus eklektisch. Ein neuer Tag ist angebrochen, er ist dunstig und die Sonne ist weit weg. Die einzelnen Ideen tragen dabei zur Gesamtidentität des Stückes bei, was Jan Gerdes eindringlich herausarbeitet.
Als Weltersteinspielung sind auf dieser interessanten CD ebenfalls "Five Short Piano Pieces" (1987) des äthiopischen Komponisten Ezra Abate Yimam zu hören. Es handelt sich um einen facettenreichen Zyklus von Miniaturkompositionen, die thematisch auf äthiopischen pentatonischen Skalen basieren. Angesprochen wird die ABA-Form, wobei in der Mehzahl Quart- und Sekundharmonik zum Einsatz kommt. Schon das erste Stück "Basso ostinato" basiert auf einer äthiopischen pentatonischen Skala. "Thought" erinnert an eine postromantische Komposition - und "Bourlesqua" fasziniert zuletzt mit hochvirtuosen quartharmonischen Texturen.
Von dem südafrikanischen Komponisten Bongani Ndodana-Breen erklingt das an ein heiliges Ritual erinnernde, magisch wirkende Stück "Isiko" (2019). Eine Familie kommt als Clan zusammen, um die Ahnen um Fürsprache bei einer großen Tragödie oder Krise zu bitten. Es geht in diesem Zusammenhang auch um Femizide - also die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts.
Zuletzt ist von dem aus dem Kongo stammenden Komponisten Andre Bangambula Vindu "Lullaby" aus der Suite for Piano (1990) zu hören. Hier erhebt die linke Hand ihre Stimme mit einer sich mantraartig wiederholenden dorischen Melodie. Und die rechte Hand antwortet mit kleinen Quarteinschüben. Es ist eine inspirierende Aufnahme, die sehr zu empfehlen ist.