Die andalusische, in einer Zigarrenfabrik arbeitende Zigeunerin Carmen, die zornig den Flamenco-Rhythmus in den Boden stampft und die Seguidilla tanzt, verkörpert eine vor-rationale, magische Erotik. Als schöne Zigeunerin ist sie prädestiniert, für jemanden ge-halten zu werden, der über besondere Kräfte verfügt, mehr als andere von der Liebe ver-steht und in der Leidenschaft zügellos ist. So sieht es zumindest die Gesellschaft, in der Carmen lebt. Und Carmen spielt diese Rolle, die ihr die Gesellschaft zugewiesen hat, besser: in die sie gezwungen wurde auf Grund ihrer Herkunft und ihres Milieus, in dem sie sich bewegen muss. Wie es scheint, gehorcht Carmen ihrer Rolle: sie präsentiert sich als das Lustobjekt, das die Männer in ihr zu sehen wünschen, singt und tanzt, um die Män-nerwelt zu unterhalten, dient Lillas Pastia, dem Kneipenwirt, als Lockvogel und Animier-dame und setzt für die Schmuggler ihre Reize bei Zöllnern und Wachen ein. Es gibt jedoch auch Anzeichen dafür, dass sie sich gegen ihre Rolle wehrt. Sie versucht, aus dem Käfig, in den die Rolle sie einsperrt, auszubrechen. (Egon Voss)
Die tödlich ausgehende Liebesgeschichte zwischen der treulosen Carmen und dem bra-ven, naiven, jedoch jähzornigen, ihren Reizen verfallenen Soldaten Don José, der um ihretwillen seine bürgerliche Karriere und ein beschauliches Glück mit seiner Heimat-freundin Micaëla aufgibt, ist eine Geschichte von Wegen, Umwegen und Irrwegen, die unausweichlich ins Dunkle führen. Der Kern der Tragödie ist, dass Carmen sich in José massiv getäuscht hat. Auch er ist nicht der Mann, der sie wahrhaft als Subjekt akzeptiert, als lebendiges Gegenüber mit eigenen Vorstellungen vom Leben. Carmen ist für ihn ge-wiss nicht das Lustobjekt, das sie für die anderen ist, aber dafür stellt er einen totalen und rigorosen Besitzanspruch an sie: Wiederkehr des allgemeinen Herrschaftsanspruchs der Männer in der Männergesellschaft. (Egon Voss)
José möchte Carmen genauso besitzen, wie die Blume, die sie ihm zuwarf. Carmen wendet sich von ihm ab und Escamillo zu. Doch ihr Zusammensein mit dem virilen, ei-gentlich nur in sich selbst verliebten, gefeierten Stierkämpfer lässt in Carmen schluss-endlich die Gewissheit reifen, dass ihre Vorstellung einer freien, selbstbestimmten Le-bens- und Liebesweise in dem sie umgebenden Gesellschaftskäfig nicht möglich ist. Der Stierkampf, eine raffinierte Verbindung von Archaik mit moderner Zivilisation, ist das An-schauungsmodell einer Männergesellschaft, in der nur Furchtlosigkeit, Stärke, Disziplin und vor allem die Kraft zum Töten als Tugenden gelten, Männlichkeit allemal dadurch de-finiert ist, dass sie keine Schwäche kennt. (Egon Voss)
Carmen sieht für sich und ihr Leben keinen wirklichen Ausweg aus dieser Männerge-sellschaft. Die notwendige Alternative, die von ihr so sehnlichst gewünschte Freiheit, ist nur mehr noch im Tod zu finden: Carmen gerät weder zufällig noch gegen ihren Willen in die anscheinend ausweglose Lage, in der nur der eigene Tod oder der Verrat am eigenen Selbst als Alternativen übrigbleiben. Vielmehr ist sie es selbst, die die Begegnung mit Jo-sé im vierten Akt sucht. Sie ist es, die – als sei sie von einer fixen Idee ergriffen – in der Schlussszene immer aufs Neue vom Tod spricht. Sie ist es, die José auffordert, sie zu tö-ten, die ihn geradezu in die Enge treibt, so dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt, als sie zu töten. Sie provoziert ihren Tod … (Egon Voss)
Die Vergeblichkeit der jeweils investierten Gefühle macht das tragische Grundmuster der Geschichte aus: Micaëla bleibt als jungfräuliche Witwe zurück, Escamillo berauscht sich an neuen Leidenschaften, und José tötet Carmen aus seiner prinzipiellen Unfähigkeit heraus, mit ihrer Lebens- und Liebesansicht zurechtzukommen. Umgeben, nahezu stän-dig belauert, sind die Protagonisten von einer Ansammlung aufrechter Bürger/Innen, die jede Abweichung von der Norm als störend empfinden. Und Carmen war störend.
Regisseur Georg Köhl erregte mit Interpretationen von Stoffen wie z. B. DON GIOVANNI, DER ROSENKAVALIER, TOD IN VENEDIG, ARABELLA, KATJA KABANOWA oder LOHENGRIN bei Publikum und Presse eine nachhaltige Aufmerksamkeit. In über 50 In-szenierungen belegte er seine Vielseitigkeit. Stationen seines Wirkens sind Münster, Wiesbaden, München, Köln, Kiel, Maastricht, Amsterdam, London, Krefeld und Wupper-tal. Seine 2013 am Theater Münster gezeigte Inszenierung der SALOME wurde von der DEUTSCHEN BÜHNE in der Kategorie Beste Regie nominiert.
Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, nach der Novel-le von Prosper Mérimée
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Fabrizio Ventura
Inszenierung: Georg Köhl
Bühne: Martin Warth
Kostüme: Ursina Zürcher
Chor: Inna Batyuk
Dramaturgie: Margrit Poremba
Mitwirkende:
Adrian Xhema (Don José, Sergeant), Gregor Dalal (Escamillo, Stierkämpfer), Youn-Seong Shim (Dancaïro, Schmuggler), Philippe Clark Hall (Remendado, Schmuggler), Juan Fernando Gutiérrez (Moralès, Sergeant), Plamen Hidjov (Zuniga, Leutnant), Tara Venditti (Carmen, Zigeunerin), Sara Daldoss Rossi/ Henrike Jacob (Micaëla, Bauernmäd-chen), Eva Bauchmüller (Frasquita, Zigeunerin), Lisa Wedekind (Mercédès, Zigeunerin)
Opernchor und Extrachor des Theaters Münster
Sinfonieorchester Münster
Theaterkinderchor Gymnasium Paulinum
(Leitung: Margarete Sandhäger, Jörg von Wensierski)
Statisterie
Weitere Vorstellungen im September:
Freitag, 12. September, 19.30 Uhr, Großes Haus
Mittwoch, 17. September, 19.30 Uhr, Großes Haus
Sonntag, 21. September, 19.00 Uhr, Großes Haus
Donnerstag, 25. September, 19.30 Uhr, Großes Haus