Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
"Caligula" von Albert Camus, Wuppertaler Bühnen"Caligula" von Albert Camus, Wuppertaler Bühnen"Caligula" von Albert...

"Caligula" von Albert Camus, Wuppertaler Bühnen

Premiere 20. Januar 2011, 20.00 Uhr im Kleinen Schauspielhaus

 

Roms Stützen der Gesellschaft sind beunruhigt. Sorgenvoll erwarten die Patrizier die Rückkehr des jungen Kaisers Caligula, der nach dem Tod seiner geliebten Schwester anonym und unauffindbar herumirrt.

Dabei fing alles gut an: die Inthronisierung des vom Volk verehrten und von ihnen gelenkten jungen Mannes schien ihren Geschäften und der politischen Einflussnahme äußerst günstig.

 

Doch nach seiner Rückkehr ist der Kaiser wie ausgewechselt. Mit der willkürlich erscheinenden Demonstration seiner Macht und Ausübung der Staatsgeschäfte schockiert er die Honoratioren. Zur Sanierung des Staatshaushaltes sollen sie ihr Testament nur noch zugunsten des Reiches aufsetzen; und sie haben mit wahllos gefällten Todesurteilen zu rechnen: denn sie sind alle schuldig. Gnadenlos und tödlich konfrontiert Caligula die Besitzstandswahrer mit ihrer moralischen Verworfenheit und Bigotterie. Fern jeder Vorhersehbarkeit errichtet Caligula eine Schreckensherrschaft der reinen

Willkür; er möchte in einem Reich regieren, in dem das Unmögliche möglich wird. Er will die absolute Freiheit. Die Erkenntnis, dass die Menschen unglücklich sind und sterben, führt ihn auf einen Höllentrip, der dem Amoklauf eines Selbstmörders gleicht.

 

Albert Camus Ende der 30er Jahre – also im Alter von nicht einmal 25 – verfasstes Drama Caligula, das sich an der historischen Figur des berüchtigten römischen Kaisers orientiert, wurde sein größter Bühnenerfolg. Die Erfahrungen seiner Zeit mit Tyrannei und Diktatur mögen ihn aber nur bedingt

dazu motiviert haben. Dominanter sind Aspekte des Generationenkonfliktes, der Konfrontation des Einzelnen mit dem Absurden angesichts des Todes und ein von allen Werten und Ethiken entfesseltes Streben nach totaler Freiheit. Dadurch offenbart Camus Drama seine Aktualität.

 

Was bedeutet das sich selbst als absolut setzende Individuum für dessen Umwelt, das Gemeinwesen, den Staat? Wann bedroht die Freiheit des Einzelnen die anderen? Camus historischer Rückgriff wird zum Planspiel, zur

Versuchsanordnung eines Menschen, der über allen Gesetzen steht und mit ungeheurer Machtfülle ausgestattet ist. Ob seine in den Augen der Mitwelt grausamen Taten der Wahrheits- und Freiheitssuche dienen, der Revolte gegen das marode System oder der langsamen Selbstzerstörung –

diese Beurteilung wird dem Zuschauer anheim gegeben.

 

Ohne platt zu moralisieren schildert Camus Schauspiel das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Charaktere und Weltbilder mit diesem philosophischen Amokschützen. Sein Lehrer, sein Jugendfreund, seine Geliebte und vor allem die Patrizier als staatstragende Kaste – sie alle reagieren unterschiedlich auf das Phänomen Caligula, stellen sich ihm in den Weg oder werden von seinem

Charisma vereinnahmt; sie schmieden heimlich Komplotte und befolgen

öffentlich jede noch so wahnsinnig erscheinende Anordnung ihres Kaisers. Wie weit kann Caligula gehen, bis es zur Revolte gegen ihn kommt?

 

Martin Kloepfer hat sich bereits am Schauspiel Frankfurt in seiner Inszenierung von Die Pest mit dem Dramatiker, Romancier und Philosophen Albert Camus auseinandergesetzt. Mit seiner zweiten Arbeit an den Wuppertaler Bühnen legt er aus zeitgenössischer Perspektive die tieferen Schichten von Camus Frühwerk frei und macht sie für eine aktuelle Zeitanalyse fruchtbar. Die Widersprüche, die in Caligula dramatisch zum Vorschein kommen, sind unsere Widersprüche: zwischen angestrebtem

Individualismus und faktischem Kollektivismus, zwischen Freiheitsstreben und Anpassungszwängen, Machtwünschen und Machtlosigkeit.

 

Deutsch von Uli Aumüller

 

Inszenierung: Martin Kloepfer

Bühne & Kostüme: Oliver Kostecka

Dramaturgie: Sven Kleine

 

Mit:

Sophie Basse, Thomas Braus, Helmut Büchel, Gregor Henze, Klaus Hille, An Kuohn, Wolfgang Möser, Helmut Rademacher, Anne-Catherine Studer, Hendrik Vogt, Lutz Wessel, Julia Wolff

 

Die nächsten Vorstellungen sind am 29. Januar sowie am 06. / 09. und 27. Februar 2011 im Kleinen Schauspielhaus

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 18 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

NEUARTIGE KLANGÄSTHETIK -- "Der rote Wal" von Vivan & Ketan Bhatti in der Staatsoper STUTTGART

Natürlich denkt man bei diesem Werk auch an Helmut Lachenmanns Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern". Eine junge Frau versucht, sich gesellschaftlich und politisch zu positionieren. Die RAF…

Von: ALEXANDER WALTHER

BRILLANTE VARIATIONEN UND ARABESKEN -- Gastspiel LGT Young Soloists im Ordenssaal bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen/LUDWIGSBURG

Tradition und Moderne vereinte dieses Gastspiel der wunderbaren, preisgekrönten LGT Young Soloists mit Talenten aus der ganzen Welt. Unter der inspirierenden Leitung von Alexander Gilman (Violine)…

Von: ALEXANDER WALTHER

Im Märchenwald -- "Ein Sommernachtstraum" von William Shakespeare vor dem Schauspielhaus Düsseldorf

Was wäre besser geeignet für eine Freiluftaufführung als ein Stück über Liebe und Liebeswirrungen? So hat wohl auch das Düsseldorfer Schauspielhaus gedacht und für die diesjährige Sommersaison William…

Von: Dagmar Kurtz

MIT SPHÄRENHAFTER LEUCHTKRAFT -- Chopin-Klaviersonaten mit Benjamin Grosvenor bei Decca

Der britische Pianist Benjamin Grosvenor stellt auf seinem neuen Album ausschließlich Klaviermusik von Frederic Chopin vor. Es ist das neunte Album, das der Künstler beim Label Decca veröffentlicht.…

Von: ALEXANDER WALTHER

ERSTAUNLICHE KLANGVIELFALT -- Neue CD: Dmitri Schostakowitsch - Jazz-Suiten, Ballett-Suiten und Konzerte bei Capriccio

Die Qualität der Suite für Jazz-Orchester Nr. 2 ("Suite for Variety Orchestra") aus dem Jahre 1938 von Dmitri Schostakowitsch ist in der Aufnahme mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑