Schaads Patienten sind abgewandert, er muss seine Praxis aufgeben und vertreibt sich die Zeit beim Billard, in der Sauna, beim Wandern und mit Alkohol. Doch all das nutzt nichts: die Stimmen in seinem Kopf verstummen nicht und die endlose Parade der Zeugen, die sich auf diese Weise immer wieder Gehör verschaffen, nimmt kein Ende. Obwohl vor Gericht und in Tat und Wahrheit unschuldig, ringt der Protagonist mit einer diffusen männlichen Erbschuld, die er sich in endlos quälenden Selbstgesprächen bis in seine Kindheit zurück selbst zu beweisen versucht.
Max Frischs letzter Roman (geschrieben 1984) kreist, wie jede seiner Schriften, um einen männlichen Protagonisten, dessen Gedanken- und Gefühlswelt akribisch seziert wird. Dialogisch aus der Perspektive Dr. Schaads (Blaubart) geschrieben, bietet dieser Roman eine geeignete Vorlage, die mit sämtlichen Theatermitteln – Musik, Gesang, Tanz, Schauspiel, Licht, Video – assoziativ angereichert wird.
Erstmals arbeiten bei dieser Produktion alle Sparten der neu gegründeten Institution des Konzert Theater Bern gleichberechtigt vom ersten Konzeptionsgedanken bis zur Premiere eng zusammen. Die Auswahl des Stoffes, der von Liebe und Tod als den klassischen Themen der Theaterbühne handelt, bildet mit seiner Sprache das Fundament des Abends, wird aber vom Regisseur Michael Simon an Schlüsselstellen um musikalische Formen erweitert. Musik, Gesang und Tanz sind dabei
Ausdrucksformen, die jenseits der Ratio und des Sprechens unbewusste Zustände erlebbar machen. So wird beispielsweise Schrekers Kammersinfonie an den Anfang des Abends gestellt, um in Form von Bild- und Bewegungstheater die stummen Erinnerungen Dr. Schaads zu evozieren. Auch Wagners Wesendoncklieder, die sowohl mit Klavier als auch Orchesterbegleitung erklingen, bilden eine Folie, vor der in das Seelenleben des Arztes hinabgeblickt werden kann: Die Lieder werden nicht als eine Verdopplung eines offensichtlichen Gefühls gezeigt, sondern als eine Oberfläche, vor der das Defizit eines Mannes, umso deutlicher hervortritt. Michael Simon, der in dieser Produktion nicht nur die Regie übernimmt, sondern auch das Bühnenbild entwickelt hat, sieht sich der postdramatischen Erzählform verpflichtet. Das bedeutet, „sich nicht dem Druck zu ergeben, eine Geschichte linear zu erzählen, sondern sie auch im Verhältnis zu den dramatischen Mitteln zu untersuchen.“
Mit Texten aus dem Roman von Max Frisch
Musik von Franz Schreker, Krzysztof Penderecki,
Arthur Honegger und Richard Wagner
Musikalische Leitung Sébastien Rouland
Regie Michael Simon
Choreographie Nicola Gründel
Kostüme Anna Eiermann
Chor Zsolt Czetner
Orchester Berner Symphonieorchester
Dr. Felix Schaad Stéphane Maeder
Staatsanwältin Henriette Cejpek
Zeuginnen Milva Stark
Rosalinde (Tänzerin) Irene Andreetto
Rosalinde (Sängerin) Claude Eichenberger
Weitere Vorstellungen: 13., 16., 20., 28. Okt. |02., 17. Nov. | 02., 08., 13., 21.
Dez. 2012 | 05. Jan. 2013
BESETZUNG