1957/1958 schrieb Max Frisch sein Lehrstück ohne Lehre »Biedermann und die Brandstifter«, eine Parabel von faszinierender Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit. Ob nun blind aus Feigheit, Trägheit, Dummheit oder tatenlos aus falsch verstandener Toleranz und Höflichkeit – die Biedermänner spielen durch Abducken und Wegschauen eine ebenso fatale Rolle in den Tragödien der Geschichte wie die gesellschaftlichen Brandstifter. Gerade weil das Ende der Geschichte absehbar ist, kann sich die irrwitzige Parabel so virtuos und tragikomisch entfalten. »Biedermann und Brandstifter« wurde noch nie im Haus am Berliner Platz gezeigt. Am 5. Mai 2022 hat Max Frischs Schauspiel in Inszenierung von Tobias Wellemeyer im Großen Haus des Theaters Heilbronn Premiere.
Zum Inhalt
Nicht mal eine Zigarette könne man sich anzünden, ohne an die Feuersbrünste zu denken, die seine Heimatstadt heimsuchen, schimpft Gottlieb Biedermann beim gemütlichen Zeitunglesen im trauten Heim. Der wohlhabende Haarwasserfabrikant, dessen Reichtum auf betrügerischen Versprechen über die angeblich haarwuchsfördernde Kraft seiner Tinkturen beruht, kennt kein Vertun: Aufhängen sollte man diese Brandstifter, verkündet Biedermann ein ums andere Mal. Schwarz auf weiß kann er lesen, dass die Zündler immer die gleiche Masche benutzen. Sie nisten sich als harmlose Hausierer auf dem Dachboden unbescholtener Bürger ein, und schon steht am nächsten Tag das Haus in Flammen.
Da klingelts an der Tür und Josef Schmitz, ein arbeitsloser Ringer, möchte ihn sprechen. Ehe sich der Hausherr versieht, ist Schmitz in seinem Haus und bittet um Essen und ein Obdach. Denn Biedermann, das merke man sofort, so sagt er, sei ein guter Mensch. Biedermann lässt sich einlullen, obwohl er zugibt, dass ihm unbehaglich sei, denn man vermute hinter jedem Hausierer gleich einen Brandstifter. Doch gerade jetzt fallen Schmitz‘ geschickte Appelle an Biedermanns Nächstenliebe auf fruchtbaren Boden, hat der Fabrikant doch einen seiner engsten Mitarbeiter und Mitwisser um seine Machenschaften mit dem wirkungslosen Haarwasser entlassen ̶ obwohl der eine kranke Frau und drei Kinder hat – und ihn damit in die persönliche Katastrophe gestürzt. Aber er ist kein Unmensch, versichert er Schmitz. Und schon hat der Hausierer seinen Schlafplatz unterm Dach sicher.
Ohne groß zu fragen, bringt auch noch seinen Freund Eisenring auf dem Dachboden der Biedermannschen Villa unter.
Am nächsten Morgen muss Biedermann feststellen, dass seine beiden Gäste Benzinfässer, Zündschnüre und alle möglichen Brandutensilien auf dem Dachboden horten. Irgendwann kann er ihre Absichten nicht mehr übersehen. »Ein Streichholz genügt und das ganze Haus steht in Flammen«, erkennt er. Doch statt ihnen Einhalt zu gebieten oder sich zu wehren, versucht er sich anzubiedern und lädt sie zum Essen ein, weil er glaubt, so vor ihren Machenschaften sicher zu sein. Ein folgenschwerer Irrtum. Schließlich überreicht Biedermann selbst den beiden Hausierern die Streichhölzer, um die sie ihn bitten.
Biedermanns innere Dämonen
Max Frisch war lebenszeitlich enttäuscht von der simplen Interpretation seines Stückes als gesellschaftspolitische Parabel von der Inkulturation des Diktatorischen in das Haus der Demokratie. Er reagierte häufig allergisch auf die Frage, ob mit den Brandstiftern eventuell die Nazis oder die Kommunisten gemeint sein könnten. Er sprach hingegen immer wieder von Biedermanns inneren Dämonen und vom psychotischen Erleben seiner eigenen Schuld.
Entgegen der politischen Idee Brechts von einem Lehrstück mit Lehre entwirft Max Frisch in »Biedermann und die Brandstifter« ein Lehrstück ohne Lehre. »Eine solches Lehrstück funktioniert wie ein nach seinem Inneren hin immer dichter werdendes Labyrinth: je tiefer man in seine Geheimnisse vordringt, desto beunruhigender und undurchsichtiger werden sie«, sagt Tobias Wellemeyer und ergänzt: »Wären da nicht Max Frischs surrealistische Intelligenz und sein großer Sinn für Humor, uns würde schaudern beim Röntgenblick in den Maschinenraum seiner fatalistischen Dramaturgie. Max Frisch - so könnte man es vereinfacht beschreiben - klärt uns auf über die Aussichtslosigkeit gewisser Situationen - aber er schickt uns nicht - wie Brecht - mit einer frischen Idee nach Hause.«
»Biedermann und die Brandstifter« sei im Grunde nichts anderes als die Chronik eines angekündigten Todes, der Vollzug eines tief in Biedermann selbst verankerten Verhängnisses.
Regie: Tobias Wellemeyer
Bühne: Tanja Hofmann
Kostüme: Ines Burisch
Musik: Marc Eisenschink
Dramaturgie: Sophie Püschel
Gottlieb Biedermann: Nils Brück
Babette, seine Frau: Sabine Unger
Anna, ein Dienstmädchen: Romy Klötzel
Schmitz, ein Ringer: Stefan Eichberg
Eisenring, ein Kellner: Pablo Guaneme Pinilla
Ein Dr. phil./Ein Polizist/Chorführer: Tobias D. Weber
Witwe Knechtling: Daniela Drewnick/Bettina Himmelsbach (Statisterie)
Der Chor: Statisterie (Till Anders; Cornelia Bartezko; Daniele Drewnick: Bernd Haller; Hannelore Hilgarth; Bettina Himmelsbach; Heiner Pefferle; Rüdiger Quinten; Nicolai Schweikart; Marcella Spiegler)
Die nächsten Vorstellungstermine: 07.05; 13.05.; 26.05.; 27.05. – jeweils um 19.30 Uhr
weitere Vorstellungstermine unter www.theater-heilbronn.de