Selbst nach dem Sieg über den trojanischen König verbreitet Agamemnon im Feindesland Gewalt und Mord. Eine der beiden Töchter des Troers tötet er sofort, die andere, Kassandra, vergewaltigt er und macht sie und ihre Mutter Hekabe zu seiner Sklavin. Den Sohn von Hekabes Schwiegertochter Andromache, Astyanax, tötet Agamemnon, um sich der Gefahr eines künftigen Rivalen zu entledigen.
Keine der Frauen kann den Krieg verhindern, alle sind Gewalt und Angst ausgeliefert, sehen ihre Kinder sterben und verlieren das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Die Frauen in „Atropa“ fragen nach einem Ausweg aus dem bloßen Trophäendasein. Den angeblichen Kriegshelden dadurch zu entmachten, dass man ihm seine Beute entreißt, erfordert jedoch radikale Schritte. Iphigenie, Klytämnestra, Helena, Hekabe, Kassandra und Andromache finden sich in einer Welt, in der Opfer-Sein für Frauen die einzig mögliche Existenzform überhaupt ist. Eine Abkehr von dieser Rolle erfordert daher nichts weniger als den eigenen Tod. So findet das erste Opfer schließlich seine Umkehr im Untergang des gesamten Atridengeschlechts.
Die griechische Schicksalsgöttin Atropos, „die Unerbittliche“, zerschneidet den Lebensfaden und bestimmt die Todesart. „Atropa“ erzählt vom Krieg der Griechen und Trojaner aus der Sicht der Frauen, deren Lebensfaden er jäh zerreißt, und fokussiert vor der Kulisse des trojanischen Krieges die Situation der Opfer politischer Machtkalküle. In „Atropa“ sind es die überlebenden Frauen der griechischen und trojanischen Königsfamilien, denen durch gesellschaftlich festgelegte Geschlechterkonzeptionen die Rolle der Opfer schlechthin zugedacht ist.
„Atropa“ zeigt durch Verflechtung antiker Autoren wie Euripides und Aischylos mit den Stellungnahmen zeitgenössischer Politiker wie Bush und Rumsfeld Parallelen in der Struktur und Rechtfertigung von politischer Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart.
Tom Lanoyes Stück „Atropa“ wurde von dem belgischen Regisseur Guy Cassier gemeinsam mit Lanoyes „Mefisto forever“ und der Inszenierung „Wolfskers“ – an deren Erarbeitung Lanoye ebenfalls beteiligt war – zu einem „Triptychon der Macht“ zusammengefasst. Die Trilogie untersucht Mechanismen politischer Macht und Ohnmacht. Der erste Teil, „Mefisto forever“ – 2009 von Teresa Rotemberg auf die Bühne des Kleinen Hauses der Städtischen Bühnen Münster gebracht – erzählt in Anlehnung an Klaus Manns „Mephisto“ von den Auswirkungen des Extremismus auf die eigene gesellschaftliche Positionierung von Kunstschaffenden angesichts repressiver politischer Macht. Der zweite Teil, „Wolfskers“, beleuchtet das Privatleben der Machthaber im Moment ihres öffentlichen Machtverlustes. „Atropa“, das jüngste Stück des belgischen Autors und Performers Tom Lanoye, wurde 2008 von den führenden Tageszeitungen seines Landes zum Stück des Jahres gewählt.
Regie: Kirsten Uttendorf
Bühne/ Kostüme: Karin Fritz
Dramaturgie: Justus Wenke
Mitwirkende:
Matthias Caspari (Agamemnon, Oberbefehlshaber der Griechen), Regine Andratschke (Hekabe, Mutter seines trojanischen Feindes), Christiane Hagedorn (Helena, seine Schwägerin), Stefanie Julia Möller (Andromache, Frau seines trojanischen Feindes), Judith Patzelt (Iphigenie, seine Tochter/ Kassandra, Schwester seines trojanischen Feindes), Carola von Seckendorff (Klytämnestra, seine Frau)
Weitere Vorstellungen im Februar:
Samstag, 05. Februar, 19.30 h
Mittwoch, 09. Februar, 19.30 h
Samstag, 19. Februar, 19.30 h