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AM ENDE WINKT DIE FREIHEIT - "Der Sturm" von William Shakespeare im Schauspielhaus Stuttgart

Premiere am 22.4.2023

"Bist du denn nicht vom Himmel gefallen?" lautet die zentrale Frage in Shakespeares letztem Schauspiel "Der Sturm". Sie gilt dem Luftgeist Ariel, den Sylvana Krappatsch mit hintergründiger Ironie mimt. Nach dem von der Schauspielgruppe subtil dargestellten Sturm auf offener Bühne durchbricht Ariel zielsicher und pfeilschnell die mit riesigem weißem Papier dargestellten Wolken, die tatsächlich aus der Höhe herabsinken. Was für ein Verwandlungszauber!

 

Copyright: Toni Suter

Die Kostüme von Ute Lindenberg beschwören mit Halskrausen Shakespeares Zeitalter herauf. Dem Regisseur Burkhard C. Kosminski gelingen hier starke und suggestive Bilder, die sich einprägen. Rote Vorhänge lenken den Blick auf ein wildes Geschehen. Im Bühnenbild von Florian Etti wird deutlich, wie eine kleine Insel den Schiffbrüchigen das Leben rettet. Hier herrscht der von Andre Jung überzeugend gespielte Prospero, der einst Herzog von Mailand war. Zu spät bemerkte er, dass sein Bruder Antonio eine Verschwörung plante, um ihn zu stürzen. Antonio wollte die alleinige Macht über Mailand gewinnen. Prospero wurde mit seiner Tochter Miranda, die Camille Dombrosky mit erfrischender Lebendigkeit darstellt, vom königlichen Hof vertrieben und auf der Insel ausgesetzt.

Seit zwölf Jahren leben sie dort mit dem von Evgenia Dodina ausdrucksstark gespielten missgestalteten Sklaven Caliban und dem Luftgeist Ariel. In Kosminskis Inszenierung verändert und verschiebt sich die offene Bühne in permanenter Weise. Witz, Humor und Ironie kommen nie zu kurz - auch dann nicht, wenn Prospero Rache an seinem von Reinhard Mahlberg virtuos gemimten Bruder Antonio nimmt. Mit der Hilfe Ariels gelingt es ihm nämlich, das vorbeiziehende Schiff mit seinen Feinden an Bord vom Kurs abzubringen und auf der Insel stranden zu lassen. Dann kommt es zum großen Schnitt: Alonso, König von Neapel (facettenreich: David Krahl), sein Sohn Ferdinand (wandlungsfähig: Marco Massafra) und Antonio werden voneinander getrennt. Auf der fremden Insel irren sie nun ziellos umher, werden von Geistern verfolgt und finden keine Ruhe.

Doch am Ende löst der kluge Prospero seinen Zauber auf, seine Magie endet. Auch Caliban und den Luftgeist Ariel entlässt er in die Freiheit. Das Schiff mit seiner Tochter, ihrem Bräutigam, dem König und seinem Bruder Antonio setzt seine Segel mit Kurs auf Neapel. Prospero kehrt dahin zurück, von wo er hergekommen war, die Erde hat ihn wieder: "Wir sind aus solchem Stoff,  aus dem man Träume macht; dies kleine Leben umfasst einen Schlaf." Prospero versenkt sein Zauberbuch am Ende ins Meer. Und im Schauspielhaus in Stuttgart nimmt er der Souffleuse das verstaubte Textbuch aus der Hand, bevor das Licht ausgeht. Das ist ein raffinierter Kunstgriff, eine neue Handlung innerhalb der Handlung. An Kunstgriffen mangelt es dieser Inszenierung nicht, die ansonsten mit recht sparsamen Mitteln auskommt.

In gewisser Weise merkt man bei diesem Zauberlustspiel, dass Prospero wohl eine Selbstdarstellung Shakespeares ist, was Andre Jung plastisch zum Ausdruck bringt. Von allen großen Dramen Shakespeares ist das Finale von "Der Sturm" wohl am heitersten. Es ist eine einzige große Befreiung aus seelischer Gefangenschaft, was die Inszenierung plausibel verdeutlicht. Prospero wird wieder Herzog von Mailand, der König von Neapel gewinnt seinen Sohn zurück und bereut den begangenen Verrat. Alle Schuld ist vergeben, alles Verbrechen verziehen. Die Leidenschaften sind erloschen, die Elemente haben sich beruhigt.

In weiteren Rollen fesseln Sven Prietz als umtriebiger Witzbold Trinculo, Christiane Roßbach als versoffener Diener Stephano sowie Felix Strobel als Alonsos undurchsichtiger Bruder Sebastian. Der Zauber der geheimnisvollen Verwandlungen wird auf der Bühne durch ständige Bewegungen und Veränderungen sichtbar, die Burkhard C. Kosminski als Regisseur immer wieder unterstreicht. In Prosperos Monolog zu Beginn des fünften Aufzuges macht Andre Jung das revolutionäre Geschehen deutlich, wenn Prospero den Zauberstab zerbricht und "viele Klafter tief" in die Erde versenkt. Im Epilog wird dann bestätigt, dass alle seine Künste dahin sind. Das Auf und Ab, Hin und Her der Szenerie mit dem Raub von Fürstenkronen, hinterhältigem Verrat, liebessehnsüchtiger Jugend und randalierender Unterwelt nimmt den Zuschauer in atemloser Weise gefangen - denn die Bühne senkt sich in gespenstischer Weise tatsächlich nach unten.

Zu Beginn hängt oben ein Schiffssegel, das sich langsam herabsenkt und aus dem der Luftgeist Ariel herausspringt. Shakespeares Verse werden sehr lebendig umgesetzt - vor allem bei der symbolkräftigen Figur Calibans, dem Sohn der Hexe Sykorax und des Teufels. Dazu passt recht gut die eindringliche Musik von Hans Platzgumer. Andre Jung lässt als Prospero deutlich werden, dass Schatten auf seiner Gestalt liegen. Dazu gehören auch seine Wutanfälle und sein Rachedurst. Am Ende steht ruhevolle Größe. Das Entsetzen, dass die Protagonisten auf dem Weg dorthin erleben, könnte bei manchen Passagen noch plastischer gezeichnet werden.

Doch Burkhard C. Kosminski glückt hier insgesamt gesehen eine Inszenierung, die einen großen philosophischen Bogen spannt, die visuelles Geschehen mit gedanklicher Tiefe verbindet. Vor allem ist das Publikum stets gebannt, nie gelangweilt. Prospero folgt der Maja-Lehre. Die Welt ist hier eine Illusion, die plötzlich zur Realität wird. "Bravo"-Rufe, viel Applaus für das gesamte Team.
 

 

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