Muttis Worte "Vielleicht kommen ein paar nette junge Damen zu deinem Vortrag" klingt ihm in den Ohren, als die Soubrette einen mitreissenden Wiener Walzer mit ihm tanzt. Doch kommt auch der Offenbachsche Cancan nicht zu kurz, den er gleich zu Beginn zum Besten gibt. Der rührende "Bajazzo für Karl" erweist sich als Schnulze. Und beim "Drachenlied" geht richtig die Post ab. "Euer selbst" scheint den linkischen Musikwissenschaftlier völlig aus dem Konzept zu bringen. "Das Vogellied" gerät zur Moritat, die in einen fetzigen Walzer als "Ehestand der Dinge" übergeht. Der "Csardas Obstine" bringt viel Puszta-Blut ins Geschehen, das immer atemlosere Formen annimmt. "An das Baby" wirkt ebenfalls höchst satirisch - wobei der unbeholfene Musikwissenschaftler in immer größere Erklärungsnöte kommt.
Auch die "Glückwunschkarte für Feinde" hat es in sich. Und auch die "Impfpolka" mit ihren Assoziationen zur Corona-Problematik erinnert stark an Johann Strauss. Die von Jana Markovic wunderbar parodistisch und klangfarbenreich verkörperte weibliche Operettenfigur besitzt natürlich die Allüren einer exzentrischen Diva, die den VHS-Dozenten um den Finger wickelt. Als Dr. Khranich überzeugt Ben Janssen genauso wie Tomi Wendt als männliche Operettenfigur und "spanischer Schürzenjäger", der in alle möglichen Rollen schlüpft. Der "schlimme Krawatten-Tango" soll sogar an Alexander Gaulands Hundekrawatte erinnern. Und selbst die "Fledermaus" von Johann Strauss wird zitiert: "Glücklich ist, wer vergisst..."
Die Bühne und die Kostüme von Elisabeth Vogetseder erscheinen in der gewitzten Regie von Elena Tzavara und Sarah Ritter im "Pariser und Schweinfurter Grün" - der berühmten Modefarbe des 19. Jahrhunderts, die für Arsen-Vergiftungen sorgte, Dr. Khranich erinnert sich nostalgisch an Omas heiße Schokolade. Und in seiner Jugend haben alle den Kaffee schwarz getrunken. Nach dem "Walzer Text" kommt es zur "Drachenlied-Reprise". Und "Der Dalmatiner. Variationen über einen Flachwitz" lässt den Musikwissenschaftler zu einem kläffenden Hund werden, der nicht nur beim "Blues" hin und her kriecht.
Mit den "Innenstädten" endet dieses satirische Werk voll explodierender musikalischer Ideen und Anspielungen. Gordon Kampe beherrscht alle Stilrichtungen der Operette aus dem Effeff, überrascht den Hörer aber auch mit rhythmischen und chromatischen Finessen sowie neuartigen Klangeffekten. Die Texte von Schorsch Kamerun, Guillaume Apollinaire, Wiglaf Droste, Kurt Tucholsky oder Ann-Christine Mecke haben es in sich und sorgen immer wieder für szenische Turbulenzen. Anklänge an Emmerich Kalman, Franz Lehar und Jacques Offenbach sind nicht zu überhören.
Mit raffinierten kontrapunktischen Einfällen erreicht Kampe eine dramaturgische Zuspitzung mit elektrisierenden Höhepunkten. Selbst Karl Kraus wird zitiert. Zuletzt wird der Dirigent Clemens Mohr an Seilen hochgezogen. Zuvor hat er das Staatsorchester Stuttgart mit viel Spielwitz dirigiert. Die Spielfassung der "Gefährlichen Operette" besorgte Ann-Christine Mecke.
So gab es zu Recht begeisterten Schlussapplaus des Publikums.