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Zwischenzeilen

"Re:Zeitung" von P.A.R.T.S.FOUNDATION/Anne Teresa De Keersmaeker im Tanzhaus NRW Düsseldorf

 

Zeitungen liefern Informationen zu Ereignissen von gestern oder weisen auf Zukünftiges hin, das Gegenwärtige, gerade Stattfindende bleibt jedoch ausgespart. Mit "Re:Zeitung" beziehen sich sechs Tänzer von P.A.R.T.S. FOUNDATION/Anne Teresa De Keersmaeker auf ihr 2008 produziertes Stück "Zeitung". Aber der Titel liefert keinen Anhaltspunkt für das Verständnis.

 

Die Bühne ist leer wie ein Probenraum, einzig Beleuchtungskörper und ein Flügel, auf dem Alain Franco live Werke von Johann Sebastian Bach spielt, nehmen Raum ein. Neben Bach hören wir vom Band Arnold Schönberg, Anton Webern, Kurt Weill, Charles Ives und zu guter Letzt "Perpetuum Mobile" von den Einstürzenden Neubauten.

 

Die jugendlich wirkenden Tänzer, überwiegend im Sportdress teils aus glänzenden Kunststofffasern, stehen dabei rein optisch im merkwürdigen Kontrast zur klassischen Musik. Sie bewegen sich zur Musik ohne sie zu interpretieren, sie erzählen keine konventionelle Geschichte. Die Tanzsprache ist vom Ballett geprägt mit kleinen Breakdance-Anleihen, die aber mehr hingehuscht sind. Einzelne choregographische Sequenzen folgen aufeinander mit kleinen Pausen, in denen alle ruhig verharren. Mit Fäden wird in einer Sequenz der Raum ausgemessen, abgezirkelt, aufmerksam darauf geachtet, dass sich die Fäden nicht überschneiden, kein Netz wird geknüpft, allein der Raum wird scheinbar ausgelotet.

 

Ausgelotet wird aber nicht nur der Raum, sondern auch die Bewegungen der Körper im Raum unter dem Einfluss der Musik, also das Fundament des Tanzes an sich. Keersmaekers bleibt dabei jedoch nicht stehen, sie scheint darüber hinaus noch über das Dazwischen zu reflektieren, die Leerstellen zwischen den Raumkörpern, die Pausen zwischen den Bewegungen, sozusagen die Zwischenzeilen. Fasziniert scheint sie zu fragen, ob man das Inhaltslose von Raum und Zeit erfassen kann.

 

Beindruckend, wie präzise und sinnlich ein abstrakter Stoff dargeboten werden kann!

 

"Tanz: Louis Combeaud, José Paulo Dos Santos, Youness Khoukhou, Renan Martins de Oliveira, Radouan Mriziga und Mohamed Toukabri

 

Live-Musik: Alain Franco; mit Kompositionen von J.S. Bach, A. Webern, A. Schönberg; Solo-Piano (Aufnahmen der Proben): Alain Franco; Orchesterparts: Pierre Boulez/Berliner Philharmoniker und Pierre Boulez/BBC Chor

 

Konzept: Anne Teresa De Keersmaeker, Alain Franco; Choreografie: Anne Teresa De Keersmaeker; Tanzvokabular: David Hernandez

 

September 2013

 

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