Die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen am Anfang des 19. Jahrhunderts analysierte Georg Büchner in seinen Werken mit sezierendem Blick. Er stellte den Einzelnen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und zwar in dem Moment seines individuellen Scheiterns.
Falk Richter hat aus Büchners Texten, überwiegend aus "Lenz", "Woyzeck" und Auszügen aus seinen Briefen, für das Düsseldorfer Schauspielhaus eine Collage verfasst, die er u.a. mit aktuellen, im Internet veröffentlichten Texten der heutigen Empörten angereichert hat. Dass Büchners Texte noch aktuell sind, steht außer Frage. Das Gehetztsein Woyzecks, der psychische Kollaps Lenzens, das Außer-sich-geraten finden Parallelen in der heutigen Burn-out-Generation. Gerade angesichts der aktuellen Krisen und der Ängste Vieler vor einer ungewissen Zukunft, schleichendem ökonomischen Zusammenbruch, nicht gelöster Umweltfragen und dem eigenen sozialen Abstieg, bietet es sich an, auf Büchner zurückzugreifen. Zumal Büchner die Wirkmacht einer bewussten poetischen Sprache und ihre rhetorischen Mittel nutzt, um Ausbeutung und Unterdrückung zu schildern und indirekt zum Engagement aufzufordern. Und da ist er den Texten der heutigen Empörten haushoch überlegen, die in der direkten Gegenüberstellung dann nur wie bloße Spontisprüche erscheinen.
Die Unruhe, das Getriebensein findet in Richters Inszenierung in einer ständigen Bühnenbewegung Ausdruck. Zahlenreihen rattern auf der Bühnenhinterwand, Metronome klicken an gegen den Bass des Sounds von Ben Frost, Videoschirme zeigen heutige Katastrophennachrichten. Das sind Bilder für unseren gegenwärtigen Wahnsinn. Die sieben Schauspieler kommen nie zur Ruhe. Und Woyzeck muss ständig sinnlos Stühle rücken. Szenisches Spiel wechselt mit Vortrag, und unversehens ist man in den Büros der Aktivisten mit ihren Zettelbergen gelandet.
Das Büchner-Projekt von Falk Richter ist nicht uninteressant, es gibt viele spannende, intensive Momente, die aber vor allem dann auftauchen, wenn es sich um Büchnersche Urtexte handelt. Da stellt sich doch die Frage, warum man sich nicht gleich ganz auf ein Büchner-Werk eingelassen hat.
Die schauspielerische Leistung jedenfalls fand ganz zu Recht ausgiebigen Beifall.
Besetzung: Emre Aks?zo?lu, Olaf Johannessen, Xenia Noetzelmann, Aleksandar Radenkovi?, Judith Rosmair, Ingo Tomi, Thomas Wodianka
Regie: Falk Richter
Bühne : Katrin Hoffmann
Kostüme: Daniela Selig
Video: Martin Rottenkolber
Musik: Ben Frost / Kompositio Paul Corley / Mitarbeit Komposition
Uraufführung, Premiere: 20. Oktober 2012