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Heinrich von Kleists Novelle, die auf das Erdbeben von Santiago de Chile im August 1647 Bezug nimmt, ist von kristallener Schönheit und irritiert als poetisch verdichtete, verstörende Vision aktueller Debatten in Zeiten der Pandemie. Schon mit dem ersten Satz versetzt Kleist die Leser*innen ins Epizentrum der Katastrophe. Verstörte Überlebende sind mit der Deutung des Erdbebens beschäftigt, doch die perspektivischen, interessensabhängigen Schilderungen von Ohnmacht, Schutzlosigkeit und Tod münden in keiner sinnstiftenden Narration. Der Erzähler weiß von Plünderungen im rechtslosen Raum zu berichten, aber auch von Opferbereitschaft, Mut und Selbstlosigkeit. Und dem trügerischen Idyll des verloren geglaubten Paradieses, in das sich Überlebende flüchten und das keine gesellschaftlichen Schranken kennt, folgen Diffamierung, Verfolgung und Lynchjustiz.
«Die Mechanik von Schuld und Sühne wird in neuen Deutungsmustern fortwährend weitererzählt. Die auf der ganzen Welt grassierende Epidemie verbreitet das Gefühl, die tödliche Gefahr ihres Auftretens müsse, wenn nicht mit uns allen, dann doch mit der Lebensweise bestimmter Menschen, Völker oder Nationen zu tun haben. Ob das Virus durch den unlauteren Verzehr von exotischen Tieren auf den Märkten in Wuhan zu den Menschen kam oder eine gezielte Züchtung des Impfbefürworters Bill Gates sei – die Anhängerschaft von Verschwörungstheorien wächst schnell und hält wider besseren Wissens an ihrem Glauben fest. Und manchmal bedarf es nur eines einzigen Satzes, um eine Gemeinschaft in einen gewalttätigen Mob zu verwandeln.» Ulrich Rasche
Ulrich Rasche, der dem Münchner Publikum seit seiner «Räuber»-Inszenierung bestens bekannt ist und aufgrund seiner formstrengen Sprechchöre und spektakulären Bühnenkonstruktionen als einer der außergewöhnlichsten Regisseur*innen seiner Generation gilt, wird Kleists «Das Erdbeben in Chili» in Szene setzen.
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2. «M (3) – Eine Stadt sucht einen Mörder (Hässliche Furcht oder schönste Gegenwehr?)Eine Konzertinstallation von Cathy van Eck und Schorsch Kamerun
Premiere am 26. September im Marstall
Inszenierung: Schorsch Kamerun
www.residenztheater.de/m-3
«Die Mörder sind unter uns» lautete der Arbeitstitel von Fritz Langs berühmtem Film «M» von 1931. Er spiegelt die Ambivalenz, mit der Lang und Thea von Harbou die Jagd auf den Serienmörder Hans Beckert schildern. Die eigentliche Hauptrolle spielt die zutiefst verunsicherte Metropole, deren Bevölkerung von den Kriegserlebnissen und der Weltwirtschaftskrise gezeichnet ist.
In der Adaption durch den Musiker und Theatermacher Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen) und die Komponistin Cathy van Eck wird dieses Verhältnis umgedreht und der Film zur Konzertinstallation, der Stoff zur Folie der Gegenwart. «Ist M (München) noch die Solidargemeinschaft Stadt, oder, wie mancherorts behauptet wird, auf dem besten Weg, zu M (Mörder) zu werden, also einer hoch – gefährdeten, gespaltenen Bedrohungslage, die von Retter*innen mit starken Armen in Sicherheit gebracht werden muss?» Schorsch Kamerun «Die musikalische Ebene bewegt sich zwischen Lied und Geräuschkulisse, sucht nach einem Rhythmus, um dann wieder in einem chaotischen Rascheln zu verschwinden.» Cathy van Eck