Rudolf Höller, der Bruder der beiden steht kurz vor dem Ruhestand. Er ist Gerichtspräsident, ehemaliger SS-Offizier und stellvertretender KZ-Kommandant und der als solcher jedes Jahr am siebten Oktober Heinrich Himmlers Geburtstag feierlich begeht. Das Theaterpublikum darf sowohl den Vorbereitungen für das Fest als auch diesem selbst zuschauen. Am Ende des Stücks stirbt der von nationalsozialistischem Wahn ergriffene Rudolf an einem Herzinfarkt.
Der Untertitel zu „Vor dem Ruhestand“ lautet „Eine Komödie von deutscher Seele“. Und dem Anspruch einer Komödie wird sein Stück vollends gerecht. Thomas Bernhard schafft es aus einer krankhaften, neurotischen Geschwisterkonstellation zwischen einem Alt-Nazi, einer Mitläuferin und einer passiv-aggressiven Sadistin beständig komödiantische Funken zu schlagen. Dadurch wird der Schrecken dieser Figuren, die monströs daher kommen, immer wieder durch Lachen gebrochen. Ihre gefährlichen Ideale von Perfektion, Reinlichkeit und Erhabenheit laufen wiederholt ins Leere. Werden absurd, banal und hohl. Werden lachhaft.
Nichtsdestotrotz sind diese Figuren uns nah. Ihre abstruse Suche nach einem unmöglichen Glück geht uns an, weil Bernhard sie extrem genau zeichnet und Eigenschaften, die als spezifisch deutsch gelten, aufs Korn nimmt. Eigenschaften, die auch Grundlage für die nationalsozialistische Herrschaft waren. In einem Interview hat Bernhard sardonisch bemerkt, die Deutschen hätten der Welt den Wert der Gründlichkeit beigebracht. Dass eben diese Gründlichkeit ohne einen moralischen Kompass in den schlimmsten Horror hinein führen kann, ist heute wohl allgemein akzeptiert.
Hat also ein österreichischer Autor 1979 zeigen wollen, dass nur die Deutschen mit ihren Eigenschaften Nazis werden konnten? Sollte nur die deutsche Kultur den Holocaust ermöglicht haben? Geht es darum lachend diese Gedanken zu schlucken? So einfach hat es sich Bernhard mit seinem Stück natürlich nicht gemacht. Dafür war er viel zu intelligent. Er sagt im Gespräch mit Hellmuth Karasek folgendes: „Also mißverstehen Sie mich nicht. Ich habe das Gefühl, daß ich und alle anderen mit allen verwandt sind. Daß auch ein Filbinger in mir ist wie in allen anderen. […] Das ist die Frage, wie weit unterdrückt man und beherrscht man alle diese Millionen und Milliarden von Möglichkeiten von Menschen, die man in sich hat?“ Und diese Frage nach dem was wir wirklich tun, um diese oder jene Möglichkeit von Menschen in uns nach außen treten zu lassen, bleibt sicherlich auch heute weiter interessant.
Das Lachen des (deutschen) Zuschauers ist also hierbei gerade der Schlüssel, um sich klar darüber zu werden, welche Eigenschaften und Eigenheiten seiner Kultur einem guten Leben im Wege stehen können. Und wo ein gesundes Maß bei den Figuren offensichtlich schon lange abhandengekommen ist.
Keine Komödie über Nazis. Eine Komödie über Wahnvorstellungen, die in der historisch dunkelsten Epoche deutscher Geschichte gipfelten. Eine Komödie, in der kathartisch- reinigend alles verlacht werden darf, was an Monströsem in einer spezifischen Kultur möglich ist. Um vielleicht individuell zu spüren, was von dieser Kultur gehen sollte und was bleiben darf.
Musikalität und Genauigkeit der Sprache sind wesentliche Merkmale der Bernhardschen Dichtung. Thomas Bernhard, der lange Zeit als „enfant terrible“ der Österreichischen Literatur galt, ist von den deutschsprachigen Theatern nicht mehr wegzudenken. Unter seinen zahlreichen Theaterstücken ragt vor dem // ruhestand heraus. Das Stück über nationalsozialistischen Wahn ist ein Mahnmal dafür, dass nationalsozialistisches Gedankengut auch heute leider immer noch in den Köpfen von Menschen zu finden ist. Ein antifaschistisches Werk, in dem Täter- und Opferrollen wechseln und es um die Frage von Schuld und Verantwortung geht. Nicht vergessen, nicht verdrängen – so lautet das Motto dieses Abends.
Regie // Philip Stemann
Geboren in Stade, aufgewachsen in der Hamburger Peripherie, studierte Philip Stemann zunächst Geschichte und Slawistik, später Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch“ in Berlin. Von 2001 bis 2003 war er Mitglied im Leitungsteam des TIF am Staatsschauspiel Dresden. Seitdem zahlreiche Arbeiten als freier Regisseur und Autor, u.a. am Staatsschauspiel Dresden, am Maxim-Gorki-Theater in Berlin, an den Wuppertaler Bühnen und am Theater Bremen. Am theater // an der rott inszenierte Philip Stemann in der vergangenen Saison die Oper hänsel // und gretel. Stemann, der mit seiner Familie in Bremen lebt, ist seit 2011 auch als Dozent für Schauspiel am Konservatorium Wien Privatuniversität tätig.
REGIE // PHILIP STEMANN
AUSSTATTUNG // KATJA FRITZSCHE
DRAMATURGIE // MAXIMILIAN LÖWENSTEIN
MIT //
STEPHANIE BRENNER
NORBERT HECKNER
ANNA STIEBLICH
Weitere Vorstellungstermine // Sa, 07. März 2015 // So, 08. März 2015 // Fr, 13. März 2015 // Sa, 14. März 2015 // So, 15. März 2015 // Beginn // Fr und Sa 19.30 Uhr / So 18.30 Uhr