Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
"vor dem // ruhestand" von Thomas Bernhard, theater // an der rott in Eggenfelden "vor dem // ruhestand" von Thomas Bernhard, theater // an der rott in..."vor dem // ruhestand"...

"vor dem // ruhestand" von Thomas Bernhard, theater // an der rott in Eggenfelden

Premiere // Freitag, 06. März 2015 um 19.30 Uhr. -----

KOMÖDIE DEUTSCHER SEELE. In vor dem // ruhestand lernt man in drei Bildern drei Geschwister kennen. Clara, Vera und Rudolf Höller. Sie leben zurückgezogen, ohne soziale Kontakte im Hause ihrer Eltern. Es ist das Jahr 1979. Clara sitzt im Rollstuhl. Sie ist 1945 Opfer eines Bombenangriffs geworden und abhängig von der Pflege ihrer Schwester Vera.

Rudolf Höller, der Bruder der beiden steht kurz vor dem Ruhestand. Er ist Gerichtspräsident, ehemaliger SS-Offizier und stellvertretender KZ-Kommandant und der als solcher jedes Jahr am siebten Oktober Heinrich Himmlers Geburtstag feierlich begeht. Das Theaterpublikum darf sowohl den Vorbereitungen für das Fest als auch diesem selbst zuschauen. Am Ende des Stücks stirbt der von nationalsozialistischem Wahn ergriffene Rudolf an einem Herzinfarkt.

 

Der Untertitel zu „Vor dem Ruhestand“ lautet „Eine Komödie von deutscher Seele“. Und dem Anspruch einer Komödie wird sein Stück vollends gerecht. Thomas Bernhard schafft es aus einer krankhaften, neurotischen Geschwisterkonstellation zwischen einem Alt-Nazi, einer Mitläuferin und einer passiv-aggressiven Sadistin beständig komödiantische Funken zu schlagen. Dadurch wird der Schrecken dieser Figuren, die monströs daher kommen, immer wieder durch Lachen gebrochen. Ihre gefährlichen Ideale von Perfektion, Reinlichkeit und Erhabenheit laufen wiederholt ins Leere. Werden absurd, banal und hohl. Werden lachhaft.

 

Nichtsdestotrotz sind diese Figuren uns nah. Ihre abstruse Suche nach einem unmöglichen Glück geht uns an, weil Bernhard sie extrem genau zeichnet und Eigenschaften, die als spezifisch deutsch gelten, aufs Korn nimmt. Eigenschaften, die auch Grundlage für die nationalsozialistische Herrschaft waren. In einem Interview hat Bernhard sardonisch bemerkt, die Deutschen hätten der Welt den Wert der Gründlichkeit beigebracht. Dass eben diese Gründlichkeit ohne einen moralischen Kompass in den schlimmsten Horror hinein führen kann, ist heute wohl allgemein akzeptiert.

 

Hat also ein österreichischer Autor 1979 zeigen wollen, dass nur die Deutschen mit ihren Eigenschaften Nazis werden konnten? Sollte nur die deutsche Kultur den Holocaust ermöglicht haben? Geht es darum lachend diese Gedanken zu schlucken? So einfach hat es sich Bernhard mit seinem Stück natürlich nicht gemacht. Dafür war er viel zu intelligent. Er sagt im Gespräch mit Hellmuth Karasek folgendes: „Also mißverstehen Sie mich nicht. Ich habe das Gefühl, daß ich und alle anderen mit allen verwandt sind. Daß auch ein Filbinger in mir ist wie in allen anderen. […] Das ist die Frage, wie weit unterdrückt man und beherrscht man alle diese Millionen und Milliarden von Möglichkeiten von Menschen, die man in sich hat?“ Und diese Frage nach dem was wir wirklich tun, um diese oder jene Möglichkeit von Menschen in uns nach außen treten zu lassen, bleibt sicherlich auch heute weiter interessant.

 

Das Lachen des (deutschen) Zuschauers ist also hierbei gerade der Schlüssel, um sich klar darüber zu werden, welche Eigenschaften und Eigenheiten seiner Kultur einem guten Leben im Wege stehen können. Und wo ein gesundes Maß bei den Figuren offensichtlich schon lange abhandengekommen ist.

Keine Komödie über Nazis. Eine Komödie über Wahnvorstellungen, die in der historisch dunkelsten Epoche deutscher Geschichte gipfelten. Eine Komödie, in der kathartisch- reinigend alles verlacht werden darf, was an Monströsem in einer spezifischen Kultur möglich ist. Um vielleicht individuell zu spüren, was von dieser Kultur gehen sollte und was bleiben darf.

 

Musikalität und Genauigkeit der Sprache sind wesentliche Merkmale der Bernhardschen Dichtung. Thomas Bernhard, der lange Zeit als „enfant terrible“ der Österreichischen Literatur galt, ist von den deutschsprachigen Theatern nicht mehr wegzudenken. Unter seinen zahlreichen Theaterstücken ragt vor dem // ruhestand heraus. Das Stück über nationalsozialistischen Wahn ist ein Mahnmal dafür, dass nationalsozialistisches Gedankengut auch heute leider immer noch in den Köpfen von Menschen zu finden ist. Ein antifaschistisches Werk, in dem Täter- und Opferrollen wechseln und es um die Frage von Schuld und Verantwortung geht. Nicht vergessen, nicht verdrängen – so lautet das Motto dieses Abends.

 

Regie // Philip Stemann

Geboren in Stade, aufgewachsen in der Hamburger Peripherie, studierte Philip Stemann zunächst Geschichte und Slawistik, später Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch“ in Berlin. Von 2001 bis 2003 war er Mitglied im Leitungsteam des TIF am Staatsschauspiel Dresden. Seitdem zahlreiche Arbeiten als freier Regisseur und Autor, u.a. am Staatsschauspiel Dresden, am Maxim-Gorki-Theater in Berlin, an den Wuppertaler Bühnen und am Theater Bremen. Am theater // an der rott inszenierte Philip Stemann in der vergangenen Saison die Oper hänsel // und gretel. Stemann, der mit seiner Familie in Bremen lebt, ist seit 2011 auch als Dozent für Schauspiel am Konservatorium Wien Privatuniversität tätig.

 

REGIE // PHILIP STEMANN

AUSSTATTUNG // KATJA FRITZSCHE

DRAMATURGIE // MAXIMILIAN LÖWENSTEIN

 

MIT //

STEPHANIE BRENNER

NORBERT HECKNER

ANNA STIEBLICH

 

Weitere Vorstellungstermine // Sa, 07. März 2015 // So, 08. März 2015 // Fr, 13. März 2015 // Sa, 14. März 2015 // So, 15. März 2015 // Beginn // Fr und Sa 19.30 Uhr / So 18.30 Uhr

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 24 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

Großstadtklänge --- „Surrogate Cities“ von Demis Volpi in der deutschen Oper am Rhein

Auf der leeren Bühne finden sich nach und nach das Orchester, die Tänzer und Tänzerinnen ein. Die Solo Posaune setzt ein und der Zuschauer wird in den Trubel der Straßen einer Großstadt versetzt. Zum…

Von: von Dagmar Kurtz

RÄTSEL UM ERLÖSUNG --- Wiederaufnahme von Richard Wagners "Götterdämmerung" in der Staatsoper STUTTGART

Die verdorrte Weltesche spielt bei Marco Stormans Inszenierung der "Götterdämmerung" von Richard Wagner eine große Rolle. Gleich zu Beginn zerfällt die Wahrheit in seltsame Visionen, der Blick der…

Von: ALEXANDER WALTHER

NICHT AUF DEN LITURGISCHEN BEREICH BESCHRÄNKT --- Bruckners e-Moll-Messe und Motetten bei BR Klassik

Anders als die frühe d-Moll-Messe blieb die 1866 in Linz komponierte e-Moll-Messe nicht auf den liturgischen Bereich beschränkt. Die alten Kirchentonarten stehen bei der Messe in e-Moll von Anton…

Von: ALEXANDER WALTHER

GLUT UND FEUER -- Jubiläumskonzert 40 Jahre Kammersinfonie im Kronenzentrum BIETIGHEIM-BISSINGEN

1984 wurde dieser für die Region so bedeutende Klangkörper von Peter Wallinger gegründet. Unter der inspirierenden Leitung von Peter Wallinger (der unter anderem bei Sergiu Celibidache studierte)…

Von: ALEXANDER WALTHER

EINE FAST HYPNOTISCHE STIMMUNG -- Gastspiel "Familie" von Milo Rau mit dem NT Gent im Schauspielhaus STUTTGART

Dieses Stück erzielte bei Kritikern zum einen große Zustimmung, zum anderen schroffe Ablehnung. Vor allem die nihilistischen Tendenzen wurden getadelt. Der Schweizer Milo Rau hat hier das beklemmende…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑