Alles auf Zeit, alles temporär, um wieder Platz zu schaffen für neue Projekte, neue Räume. Ein ständiger Kreislauf, wie im Urwald, dessen üppiges Wachstum sich dem ebenso üppigen Verfallsprozess verdankt - und umgekehrt.
Heute sieht es anders aus. Heute gibt es nur noch Sichtbrache, denn in jedes noch verfügbare Grundstück ist längst eine Baugenehmigung eingerammt. Die Stadt wird verkauft und zugebaut, während republikweit ganze Regionen dramatisch an Einwohnern verlieren. Wohngebiete müssen zurückgebaut, Stadtfolgelandschaften mit Freiräumen für ungewöhnliche Ideen und neue Nutzungen entwickelt werden. Wachsen oder (gesund) schrumpfen - was macht Berlin, was das Land der Ideen zukunftsfähig?
Während in Berlins Mitte die letzten Brachflächen zugebaut werden und den Luftschlössern eines neuen, aufgeräumten Berlins Platz machen müssen, schrumpfen drum herum die Städte und lassen riesige urbane Brachflächen entstehen, werden ganze Dörfer von der Außenwelt abgehängt oder verschwinden ganz von der Landkarte. Die Ideologie des permanenten Wachstums weicht einer Kunst des Schrumpfens.
Im Zentrum des Abends steht der kleine Treck unerschrockener „Raumpioniere“, die der Stadt den Rücken kehren, um auf dem Land ihre Projekte zu verwirklichen. Sie denken urban, sind global vernetzt - und bringen die Bio-Produkte mit dem Auto aufs Land, weil es die dort nicht zu kaufen gibt. Die acht Performerinnen von leitundlause schlüpfen in unterschiedlichste Rollen, preisen als Maklerinnen Wohnprojekte an, agieren als Experten für Stadtplanung und ländliche Entwicklung, beschäftigen sich mit den Problemen der creatio ex nihilo, üben sich in Langeweile und Müßiggang, erfinden Projekte über Projekte und begeben sich so auf die Suche nach dem Modell für ein neues Leben.
Die Musik setzt an der romantischen Naturauffassung, die schon immer eine Projektion der Städter war, an und spannt von hier aus einen weiten Bogen, vom Pionierhaften in der Musik von Charles Ives und Morton Feldman über die musikalische Rhetorik des Neuen, etwa in der ‚Sinfonie aus der Neuen Welt’ oder der Werbemusik der 60er Jahre, bis hin zur Musik deutscher Westernfilme und neu arrangierter Songs.
Nach Geschichten aus dem Plänterwald und Referentinnen. Geschichten aus der zweiten Reihe bringen das Ensemble leitundlause und die Neuköllner Oper das Schlussstück ihrer gemeinsamen Berlin-Trilogie heraus, das diesmal die Entwicklung von Stadt und Land und das Leben nach dem Ende der Wachstumsgesellschaft unter die musiktheatrale Lupe nimmt.
mit dem Ensemble leitundlause
Text: Tilman Rammstedt und Matthias Rebstock Musik: Michael Emanuel Bauer Inszenierung: Matthias Rebstock Bühne: Sabine Hilscher, David Reuter, Sabine Beyerle Kostüm: Sabine Hilscher Projektionen: David Reuter, Sabine Beyerle Elektronik: Hannes Strobl Choreinstudierung: Matthias Bartsch Dramaturgie: Bernhard Glocksin Projektkoordination / Recherche: Anja Fiedler
Eine Koproduktion mit der Stiftung Bauhaus Dessau und in Kooperation mit der IBA Stadtumbau 2010. die mögliche Entwürfe für die zukünftige Perspektive von Stadt und Land und Modelle für unser Leben von Morgen variiert.