Aber wenn plötzlich so ein Außerirdischer in der Küche sitzt, geraten das Selbstbild und die eigene Wahrnehmung doch etwas ins Wanken. Man wird unsicher, ob das befremdliche Gegenüber überhaupt da sein kann.
Was es nicht gibt, das gibt es schließlich nicht. Aber man möchte ja auch nicht unhöflich sein. Oertel und Ruk haben mittlerweile herausgefunden, dass dieses Gebäude mit den siebenundzwanzig identischen Zimmern ein Hotel und die permanent betrunkene Frau, in deren Zimmer sie versehentlich geraten sind, eine sehr erfolgreiche Pornoproduzentin ist. Diese geht wesentlich pragmatischer mit den Außerirdischen um. Welch eine Fügung, denkt sich die Dame, Außerirdische in der Pornoindustrie! Das kann man nutzen, das steigert Einzigartigkeit, Marktwert und Auflage. Und sie engagiert Oertel und Ruk vom Fleck weg – ob sie wollen oder nicht.
In der WG haben sich Tom und Ebu mittlerweile an Al Tee gewöhnt. Dass er Isomatten isst und gerne ungefragt Menschen umarmt – nun ja, das eine ist nicht so schlimm, das andere sogar schön, weiß man doch, dass zu wenig Körperkontakt zu Depressionen führt. Deswegen werden Umarmungen auf die WG-Agenda gesetzt. So leben sie zusammen, die Irdischen und die Außerirdischen. Bis irgendwann die Außerirdischen Heimweh bekommen und zurück möchten. Zu seltsam, fremd scheint ihnen das irdische Treiben. Aber wie zurück?
Die Autorin Natalie Baudy wurde 1990 in der Nähe von Augsburg geboren und ist in Ulm aufgewachsen. Sie studierte Theater- und Musikwissenschaften in Mainz, Paris und Berlin und Dramaturgie an der Theaterakademie August Everding in München. Vor und während ihres Studiums hospitierte sie unter anderem am Staatstheater Mainz, bei der Dance Company Nanine Linning/Theater Heidelberg, am Berliner Ensemble und am Maxim Gorki Theater. Sie realisierte erste eigene Projekte im PENG! in Mainz, im TOWER 2k15 in Berlin und wirkte bei verschiedenen Produktionen der Theaterakademie, der Otto Falckenberg Schule und am Residenztheater mit. Seit August 2018 lebt sie als freischaffende Dramaturgin in Berlin. Dort war sie zuletzt als dramaturgische Mitarbeiterin an der Produktion „Wheeler“ am Berliner Ensemble beteiligt und ist als Produktions- und Dramaturgieassistentin Teil der Performancegruppe MS Schrittmacher. Aktuell arbeitet sie mit dem Regisseur Klemens Hegen an einer künstlerischen Auseinandersetzung zum Thema Gegenwart und Erinnerung. Außerdem realisiert sie mit dem Komponisten Florian Paul das Hörspiel „einsam“, ihre Fortschreibung von Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“.
Regie: Brian Bell
Bühne und Kostüme: Daniel Unger
Mit: Lauretta van de Merwe, Andrea Zwicky, Marko Bullack, Martin Esser
Der Theaterpreis
In unserer heutigen beschleunigten und multimedialen Welt ist das Theater, als Fossil unter den Medien, ein entschleunigter Raum für Geschichte(n), ein Raum der Erinnerung an das, was aussteht, Vergangenheit und Zukunft, Gedächtnis und Teilhabe. Als sinnlich-lebendiger Gedächtnisraum wird Theater da bedeutsam, wo es den Zuschauer unversehens überrascht, berührt, aufwühlt und den Reizschutz durchbricht. In diesem Sinne hat Natalie Baudy ein mutig skurriles, humorvolles und zugleich bissig-böses Stück über unsere Gesellschaft geschrieben. Ohne moralischen Zeigefinger setzt sie Außerirdische – die fernsten Fremden aller Fremden – als Spiegel vor unsere Nasen, um die großen und kleinen Zivilisationskrankheiten unserer Tage sichtbar zu machen. Durch den Einbruch des Fremden werden Ansichten, Meinungen, Vorurteile, Gewohnheiten unserer ansonsten doch so aufgeklärten Gesellschaft befragbar, hinterfragbar, kritisierbar.
Ende Januar 2019 wurde bereits zum sechsten Mal der Chemnitzer Theaterpreis für junge Dramatik verliehen. Aus 66 Einsendungen entschied sich die Jury, bestehend aus Andrea Czesienski (Lektorin des Henschel Verlags), Brian Bell (Regisseur), Johannes Schulze (Vorsitzender des Theaterfördervereins) und Kathrin Brune (Dramaturgin) einstimmig für das Stück „RAUSCHEN – Oder: Wenn du nicht existierst, geh mir bitte aus dem Licht. Danke!“. Thematische Brisanz, stilistische Genauigkeit, verbunden mit einem humoristisch-kritischen Blick auf Mensch und Gesellschaft waren ausschlaggebend für die Entscheidung.