Fake News und Filterblasen, Social Bots und Troll-Armeen – im Dauerflimmern der sozialen Netzwerke rüstet man sich längst für den kommenden Culture War. Die Wiederkehr des Autoritären, die Spaltung Europas, die schmutzigen Wahlkämpfe, die Krisen und Kriege. Googles ehemaliger Slogan „Don’t be evil“ wirkt da nur noch wie ein schwaches Echo aus der Zeit linker Netz-Utopien.
Don’t be evil., das ist auch der Titel der Uraufführung, für die sich Kay Voges, künstlerischer Grenzgänger zwischen Bildender Kunst, Theater und Film, und sein Ensemble mitten hinein begeben in diese digitalen Fieberschübe unserer Zeit.
„Was gab es denn? Was lag in der Luft? Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja, zum Handgemenge. Man erblasste und bebte. Die Augen blitzten ausfällig, die Münder verzogen sich leidenschaftlich.“ So beschreibt Thomas Mann im vorletzten Kapitel seines Zauberbergs die in einem Sanatorium vor sich hin dämmernden Figuren am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die Atmosphäre ist geladen, die Erregung mit Händen greifbar.
Etwas mehr als ein Jahrhundert später: Im Dauerflimmern der sozialen Netzwerke rüstet man sich für den kommenden Culture War. Alles erreicht uns, alles dringt unter unsere Haut. Minimale kommunikative Anstöße bewirken maximale Rückkopplung. Die Wut über die Wut der anderen macht uns immer wütender. Die Differenz wird zum Fetisch, die Echokammer zum Sinnbiotop, die Empörung im Gewand der Moral zum Reflex. Jeder bläst mit seinen Posaunen auf zum Kampf um die Wahrheit und die Hoheit der Zeichen. Aufregung für alle, bis die Weltkugel glüht.
Hier stehen wir, verwundbar, eingewickelt in die Nerven der gesamten Menschheit. Wir sind im globalen Hier das dauernde Jetzt, uns einander unerträglich nah. Googles ehemaliger Slogan „Don’t be evil“ – immerhin bis 2017 offizielles Credo des Unternehmens – wirkt da bloß wie ein schwaches Elmsfeuer aus der Zeit linker Netz-Utopien und Free-Cyberspace-Manifeste.
Denn wenn durch die Empörungskybernetik und Emotionsindustrie das Sowohl-als-Auch der Hyperkultur gegen das binäre Dafür-oder-
Dagegen der Filterblasen eingetauscht wurde, müssen wir wieder nach dem Dazwischen suchen. Durch welche Fenster sehen wir die Welt? Wer steht zwischen den Bildern? Und wem gehört die Hand, die da unentwegt durch die Timelines scrollt?
Deutsch mit englischen Übertiteln
Hinweis: Während des Stücks kommt es zum Einsatz von Stroboskoplicht.
Regie: Kay Voges
Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch
Kostüme: Mona Ulrich
Director of Photography: Voxi Bärenklau
Musik: Paul Wallfisch
Mit: Andreas Beck, Manolo Bertling, Susanne Bredehöft, Vanessa Loibl, Uwe Schmieder, Julia Schubert, Sylvana Seddig, Werner Strenger
04.10.19, 19:30
06.10.19, 19:30
20.10.19, 19:30
01.11.19, 19:30