Speziell in der Diagnose des „psychisch Kranken“ formulieren sich Tendenzen zum Ausschluss aus der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Historische und aktuelle Sozialfiguren wie „Kranke“, „Narren“, „Wilde“ können als Gegenbild zum domestizierten Menschen gedeutet werden. Auch der medizinisch-pharmazeutische Komplex operiert auf der Basis der Unterscheidung „gesund“/„krank“, der allein auf Heilung durch Symptombehandlung ausgelegt ist .Aber was passiert mit jenen als unheilbar Eingestuften, denen keine Besserung in Aussicht gestellt werden kann? Der filmischen Arbeit “Mental Radio” liegt vornehmlich (auto)biografisches Material zugrunde, um das Verhältnis eines "kranken" Bruders zu seiner Familie zu beleuchten.
In “Autistische Spiele” werden Zintel/Zybowski in enger Zusammenarbeit mit den Performer*innen über das Biografische hinausgehen, um die Sozialfigur des Autisten im derzeitigen öffentlichen Diskurs herauszuarbeiten.Dokumente wie Arztberichte, Videoaufzeichnungen von Untersuchungen und von Zintels Bruder gemalte Bilder dienen dabei als Ausgangsmaterial,mit denen sich die Performer*innen eigenständig und künstlerisch auseinandersetzen. Eine der zentralen Fragen dabei ist, unter welchen politischen Bedingungendas gesellschaftliche Abseits der Pathologisierten erzeugt wird? Über Jahrhunderte hinweg wurden autistische Menschen marginalisiert. Eine (negative) Beschreibung der Figur des Autisten findet sich bereits in der irischen Mythologie in Form des "Wechselbalgs": Ein Kind wird nach der Geburt durch einen Alb ersetzt, der dem Säugling bis aufs Haar gleicht, "but will have no heart; it will want to be left alone, will hold on to a piece of wood that re-calls its fairy home, and instead of speaking, it will croak and hum. If the mother tries to caress or love it, it will laugh and spit and take revenge with bizarre acts. The only solution is to throw it on abonfire."
Auch Martin Luther sprach sich in seiner Tischrede Nr. 5207 über Hexenglauben und Zauberei dafür aus, „Wechselbälger“töten zu lassen, denn sie seien nur ein Klumpen Fleisch ohne Seele. Aber nicht nur im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurden autistische Menschen marginalisiert. Während des dritten Reichs zeichnete etwa das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie und die dort vertretene menschliche Erblehre und Eugenik dafür ver-antwortlich, dass Menschen mit physischer, psychischer und geistiger Behinderung als schlechterdings nicht lebenswerte Individuen eingestuft und resultierend im Rahmen des Euthanasie-Programmes „Aktion T4“ getötet wurden.
Erst ab den 1990er Jahren wurde das Recht auf Partizipation von Menschen mit Behinderung langsam politisch umgesetzt. Mit „Nothing About Us Without Us“ wurde von den Betroffenen ein Slogan gefunden, um sich dem gesellschaftlichen Ausschluss entgegenzustellen
TOBIAS YVES ZINTELwurde 1975 in Passau geboren. Er studierte Konzeptkunst an der Akademie der Bildenden Künste München bei Joseph Kosuth. Seine filmischen Arbeiten werden bundesweit und international gezeigt, zuletzt bei der Transmediale 2020 in Berlin (D); davor bei Glasgow International (GB), den Rencontres Internationales, Palais du Tokyo, Paris / HKW Berlin, in der Gallery PomPom, Sidney (AUS), der Doris MacCarthy Gallery, UTSC Toron-to (CA), der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München (D), bei der Videonale 14 & 15 im Kunstmuseum Bonn (D) sowie in Lagos und Moskau, im Kunstpalais Erlangen (D), der Villa Merkel, Esslingen (D), der Simultanhalle, Köln (D) u.a.Regelmäßig arbeitet Zintel am Theater, u.a. an den Münchner Kammerspielen (Doing Identity Festival, Bunny Hill I und II, Hauptschule der Freiheit), am Neumarkt Theater Zürich sowie am Ballhaus Ost Berlin. Er arbeitet als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunsthochschule für Medien in Köln und lebt in Berlin.
Performer*innen:Juno Meinecke, Janet Rothe, Tamara Saphir, Rasmus Slätis, Simo Vassinen
Regie:Tobias Yves Zintel
Autor:Przemek Zybowski
Bühne und Kostüme:Sabina Moncys
Sound Anh Chi Trinh
Lichtdesign und Technische Leitung Fabian Eichner
Regieassistenz: Kallia Kefala
Ausstattungsassistenz: Mara Gruß
Produktionsleitung:Annett Hardegen