Die Bühne ist seit langem der einzige Ort, an dem noch öffentlich gedacht werden kann. Das hat Bertolt Brecht in einzigartiger Weise genutzt. Und er hat die Werkzeuge dazu revolutionär entwickelt und praktiziert. Gerade seine "Turandot" ist ein Juwel der Bühnenkunst, das uns in diesen finstersten aller finsteren Zeiten ein Licht aufsteckt. Es gehört mit Shakespeares "Maß für Maß" und Goethes "Faust" zu den erhellendsten Stücken der Theatergeschichte. Ein dramaturgisches Meisterwerk. Brecht hat fast sein ganzes Leben lang daran gearbeitet. Klar und ohne jeden Zwang bereitet es ungetrübtes Seh- und Denkvergnügen. Im wahrsten Sinne des Wortes: reines Theater. (Ingmar Thilo)
Brechts Version dieses Märchens aus dem Band "Tausend und ein Tag" trägt den Untertitel "Der Kongreß der Weisswäscher". Schon daraus kann man schließen, daß es hier um mehr geht, als nur um die Heirat mit der chinesischen Kaisertochter und um das Lösen gestellter Fragen. Die Nichterfüllung der Aufgabe wird allerdings auch in diesem Fall mit Kopfabschlagen bestraft.
In Brechts Variante geht es darum, der Bevölkerung zu erklären, wo die Baumwolle geblieben ist, ohne dabei aber die wahren Gründe zu verraten. Der Kaiser nämlich hat zusammen mit seinem Bruder Jau Jel die Baumwolle verschwinden lassen, um den Preis nach oben zu schrauben, da sich das Kaiserreich in großer finanzieller Misere befindet. Die Aufgabe einer plausiblen Erklärung nun fällt den Intellektuellen zu, welche mit den Mächtigen des Landes zusammenarbeiten. Die Mächtigen brauchen die Intellektuellen, bei Brecht die "Tellekt Uell Ins" kurz Tuis, als Vermittler zwischen ihnen selbst und dem Volk. Im Kaiserreich verkaufen sie in den Teestuben und auf den Marktplätzen Meinungen, Ausreden und politische Haltungen. Eigenständiges Denken scheint in diesem Land ausgestorben. Und Turandot läßt sich quasi zum Nobelpreis machen, zumal sie sich ausschließlich von Intellektuellen angezogen und erregt fühlt.
Der Kongreß beginnt, doch keiner der angetretenen Redner geht aus diesem Wettbewerb als Sieger hervor. Allen wird der Kopf abgeschlagen. Keiner hat gut genug gelogen, um der Bevölkerung eine plausible Erklärung zu bieten, während die Bewohner des umgebenden Landes bereits den Aufstand unter dem Anführer Kai Ho vorbereiten.
Kein TUI hat es geschafft, aber ein anderer, der Straßenräuber Gogher Gogh. Er schlägt dem Kaiser vor, die Frage nach dem Verbleib Baumwolle kurzer Hand verbieten zu lassen. Als der Klügste im Land gilt jetzt derjenige mit den radikalsten Methoden. Gogher Gogh begnügt sich allerdings nicht mit Turandots Hand allein, sondern reißt in Kürze die ganze Macht an sich. Er herrscht mit Gewalt und entwickelt sich in rasantem Tempo zum Diktator. Gemeinsam mit seinen Leuten schreckt er vor Mord und Terror nicht zurück.
Die Bevölkerung bringt sich in Sicherheit. In der Schmiede und der Wäscherei werden die Kulturgüter versteckt, die Tuis machen sich unkenntlich. Gleichzeitig werden dort eifrig Waffen hergestellt und verteilt. Kai Ho, der Revolutionär, rückt mit seinen Anhängern näher, immer mehr Leute stellen sich auf seine Seite. Kurz vor Gogher Goghs geplanter Hochzeit mit Turandot zieht der Kai Ho unter großem Jubel in die Stadt ein.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das ganze Stück die Rolle des alten Bauern A Sha Sen. Er behält einen klaren Kopf und erweist sich durch stete kritische Beobachtung der Lage als wirklicher Intellektueller. Er, der in die Stadt gekommen ist, um zu studieren, durchschaut das Verhalten der Tuis und macht sich am Ende des Stückes auf den Weg zum Kai Ho, von dem er sich eine Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen verspricht. (Manuela Clarin)
Weitere Vorstellungen am 20.,21. und 22. Oktober 2005 im PEPPER, München-Neuperlach
Karten unter Tel: 089/63 89 18 43, Fax: 089/63 89 18 44 zu 10.-/8.-/6.- Euro (Guppen ab drei Personen).